: Überlebenskunst
■ Dem Massenmord der Nazis knapp entgangen: 3 Maler in der Villa Ichon
Eine Ausstellung über das Leben und das Überleben dreier besonderer Menschen: Oskar Dittrich, Erich Paulicke und Heinrich Otte, geboren zwischen 1912 und 1926 in Deutschland, wurden jung als geistig behindert in Anstalten eingewiesen. Sie überlebten den Massenmord, der im Nationalsozialismus an Menschen verübt wurde, die im zynischen Sprachgebrauch dieser Zeit als „lebensunwert“ galten.
„Über-Leben“: Der Doppelsinn im Titel dieser Austellung, zur Zeit in der Villa Ichon zu sehen, ist gewollt: Überleben — Über das Leben. Erst 1988 erfuhren die künstlerischen Fähigkeiten der Männer Förderung: in den „Bildnerischen Werkstätten“ der Rotenburger Anstalten,deren MitarbeiterInnen jetzt die Ausstellung zusammengestellt haben. Dort interessierte man sich erstmals für ihre Geschichte. Dort gelang es, Individualität und Anstaltsleben, zwei gegensätzliche Konzepte, miteinander zu vereinbaren. Die Ausdrucksfähigkeit der Männer trat in ihrem künstlerischen Schaffen voll zutage.
Einfache Materialien zeichnen die Mehrzahl der ausgestellten Werke aus: Dispersionsfarbe, Kreide und Filzstifte auf Pappe, mit Leisten schlicht gerahmt.
Da sind die Werke Paulickes, intensiv und eindeutig wählt er Formen und Farben. Die Titel der Bilder, „Zimmer mit Fernseher“, „Blauer Hund“, „Regenwald“ sind prägnant umgesetzt. Landschaften, Waldgeister, Tiere sind die Sujets seiner Malerei; Menschen, Köpfe, Gesichter, angeordnet in Gruppen, nicht alleine, die Motive seiner Tonreliefs.
Ganz anders die Arbeiten Heinrich Ottes. Ihn bewegt das Religiöse, Himmlische. Er wählt Themen wie „Der liebe Gott“, „Eulen mit Flugzeug“, stellt Kirchen dar. Er ist der einzige der Gruppe, der seit vielen Jahren malt. Unverändert und unveränderbar dabei sein Stil: „eine Kunst, die sich nicht gern belehren läßt“, so die Informationsschrift zur Ausstellung.
Durch Farbkompositionen „Ohne Titel“ zählt die Malerei des Dritten, Oskar Dittrichs, buchstäblich aus dem Rahmen. In Öl auf gespannter Leinwand treten seine Werke flächig und stark in den Raum.
Die Individualität, Lebendigkeit und Intensität der Bilder kontrastieren den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung: Das Überleben. Doris Adam-Wollschlaeger und Rüdiger Wollschlaeger haben den Weg Paulickes, der als einer von wenigen die Deportation überlebte und heute noch Zeugnis ablegen kann, in einer einfühlsamen Video-Aufnahme nachgezeichnet. Das Band läuft während der Öffnungszeiten.
Auf 17 Tafeln, krass schwarz- weiß, werden Verfolgung und Ermordung dokumentiert, „Rasse“-Gesetze, Aussonderung, Zwangssterilisation, Deportation, und die Tötung von über 200.000 behinderten Menschen. Eva Rhode
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen