: Briefe an die Theatermacher
■ Heute: Das Benno-Ohnesorg-Theater in der Galerie Chamisso
Lieber Wiglaf,
mit großem Interesse entnahm ich dem hinteren Teil des Veranstaltungsteils einer Programmzeitschrift, daß Du Dich an diesem Wochenende in dem hinteren Teil einer Kreuzberger Galerie dem »Rätsel Homosexualität« widmen wolltest. Was geht im Inneren dieses Mannes vor sich, lautete meine bange Frage: Sollte das etwa ein weiterer Anlauf im Selbst-Outen werden? — Schwulsein, das wäre nachgeradezu das letzte, wozu sich einer wie Wiglaf noch nicht bekannt hat (und entsprechende Gerüchte über ihn sind auch schon im Umlauf, d. Red.).
Am früheren Abend haben sich in der abgedunkelten Hinterstube der Galerie etwa dreißig Personen eingefunden, von deren Aussehen nur schwer einzuschätzen ist, ob ihnen mehr am Rätsel Droste oder doch mehr an der Homosexualität liegt: Am ehesten passen sie in die Schublade »alternativ«, wie sie mit ihren Bierflaschen in der Hand freudig auf das Kommende warten.
Mit der ehrfurchteinflößenden Verspätung tritt Griffel-Meister Droste von hinten durch den Raum, schiebt sich mit der unvermeidlichen um den Hals geschlungenen Mullwindel zum Podium vor, und an seiner gewohnten Körperhaltung — der Brustkorb versucht dem weit vorgeschobenen Kinn zu folgen — läßt sich nicht ablesen, daß innendrin eine entscheidende Veränderung stattgefunden haben sollte. Außerdem würde kein Homosexueller mit so einer speckigen Aktentasche, wie Wiglaf sie unter dem Arm hat, auch nur bis zur nächsten Mülltonne laufen.
Sie fördert zutage: mehrere Flaschen Bier und ein paar Zettel.
Also das Rätsel Homosexualität, darum solle es heute abend gehen, unter anderem. Rezitator Droste stellt ein Zitat an den Anfang seiner Lesung: »Wie kann man nur schwul sein, wenn das Normale schon schlimm genug ist.« Mal abgesehen davon, wer oder was hier normal ist oder das Normale definiert, läßt dieses Motto des Abends nichts Gutes erwarten, tatsächlich kommt es noch schlimmer: Wiglaf erzählt, wie er mal in eine Homo-Bar gehen wollte, weil da doch allerlei Aufregendes passieren müßte, sich dann aber doch wieder nicht getraut hat und statt dessen in einer Stino-Kneipe vor einem Bier gelandet ist, nachdem er zuvor sich an einem Nachtbriefkasten vergriffen hatte, aus dem er einen Brief des Frauengesundheitszentrums gefingert hatte (eine »Stino-Kneipe«, sagt der Autor auf Nachfrage, ist »stinknormal«, mithin der sogenannten Hetero-Balz vorbehalten, d. Red.).
Genüßlich zitiert er aus dem Inhalt und stellt sich — zu Recht — die Frage, ob Lesben anders menstruieren als Hetero-Frauen. Es geht durch Klitoris und Knötchen, ein Ausflug in die fremde Welt der feministischen Semantik, aber noch fremder bleibt ihm der dahinter verborgene Inhalt. Also, resümiert er nach Abschluß des Zitats: Für ihn gibt es so viel Spannendes an den Frauen überhaupt, daß ihn die Untergattung »Lesben« so gut wie gar nicht interessiert: Das Rätsel bleibt ungelöst, statt dessen wird das Publikum im folgenden als Testpersonen für noch unveröffentlichte Texte — demnächst in 'Titanic‘ — rangenommen: Ob Phil Collins oder Klaus Nothnagel, nun bewegt sich Wiglaf Droste wieder auf sicherem Terrain: Gib es den Heteros!
Das ist Droste, wie er leibt und lebt: Wie die Motte ums Licht schwirrt er um die Alternativszene und deren ausgefransten Ränder, um dann und wann drauf zu scheißen. Bloß kennen wir diese Methode mittlerweile so gut wie den Misthaufen in Wiglaf Drostes westdeutschem Heimatdorf.
Lieber Wiglaf, trotzdem sollst Du nicht an Deiner miesen Hetero-Existenz verzweifeln. Wärst Du schwul, müßtest Du vielleicht nicht so viel an Deinem Griffel lutschen. Eventuell hast Du ja in Deinem nächsten Leben mehr Glück in geschlechtlichen Präferenzen.
Bis dahin viele Grüße, »Prost!« bzw. »Hals- und Pürzelbruch!« von Lutz Ehrlich
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