Sich gegenseitig Biographien erzählen

■ »Frauen in Bewegung«: Beginn von Ost-West-Gesprächen im Haus der Demokratie/ Nach der Vereinigung war frau sich nicht grün, doch nun gibt es dem Anschein nach eine Wiederannäherung

Mitte. Kommt nun die Renaissance der Neugierde zwischen Ost- und Westfrauen? Das unter dem Motto »Frauen in Bewegung« vom Unabhängigen Frauenverband initiierte Veranstaltungsprogramm am Samstag im Haus der Demokratie scheint dafür zu sprechen. Die Zeit, in der nach ersten Dialogversuchen Ost- und Westfrauen sich wechselseitig als »arrogant« und »zurückgeblieben« bezeichneten und sich danach schmollend wieder auf ihr Territorium zurückzogen, könnte vorbei sein.

Indiz dafür war nicht nur die große Zahl der durchs Haus flanierenden Besucherinnen aus Ost und West, sondern auch der positiv aufgenommene Beginn einer Reihe von »Ost- West-Gesprächen«. Die Ostfrauen Chris Karstädt und Sibyll Klotz und die Westfrauen Anne Hampel und Tine Hauser-Jobs erzählten sich gegenseitig ihre — durchaus beispielhaften — Biographien. Sibyll Klotz, heute Fraktionsvorsitzende des Bündnisses 90, fand es schon in ihrer Kindheit gemein, daß die Jungens sich dreckig machen und später nach Hause gehen durften. Ein solches »fast instinktives« Gefühl für Ungerechtigkeit hätten sehr viele Frauen, doch den wenigsten träte es irgendwann als Kritik patriarchaler Strukturen ins Bewußtsein. Auch ihr selbst habe sich erst dann vieles erklärt, als sie als Philosophie-Assistentin die bundesdeutsche Rezeption August Bebels untersuchten sollte und westliche Literatur in die Hände bekam, sagte Klotz. Gleichzeitig zog sie ihr Kind auf, wie auch Chris Karstädt, wie fast alle DDR-Frauen, denen gesellschaftliche Anerkennung nur in der Kombipackung »berufstätige Mutti« zuteil wurde. Die Lebensgeschichte von Chris Karstädt, die »als Offizierstochter militärische Erziehung genossen« hatte, hörte sich vor allem für Westfrauen wie aus einem Bilderbuch des Schreckens an: Heirat mit 20, Kind mit 21, Studium mit 22, Scheidung mit 23 Jahren. Doch mit 26 Jahren folgte, nach einer »utopischen Erfahrung des Zusammenlebens von Frauen«, ihr Coming Out, danach das politische Engagement in oppositionellen Frauengruppen.

»Wir Ostfrauen«, versuchte Moderatorin Roswitha Steinbrenner einen Unterschied dingfest zu machen, »haben unsere Einsichten erst spät mit Herrschaftskritik verbunden, die Westfrauen taten das früher.« Auch Anne Hampel und Tina Hauser-Jobs hatten ihr Engagement in feministischen Gruppen und in linken Zusammenhängen immer zu verbinden versucht, aber die gesellschaftskritische Studenten- und die Frauenbewegung waren ja auch ab 1968 mit- und gegeneinander großgeworden.

Vielen DDR-Bürgerinnen hingegen kam erst in der Wendezeit zu Bewußtsein, daß auch der Realsozialismus ein dumpfes Patriarchat gewesen war. »Mir wurde das Gefühl von Benachteiligung erst in den letzten zwei Jahren bewußt«, oder: »Bis 1989 waren Feministinnen für mich männerhassende Blaustrümpfe« — solche Formulierungen tauchten immer wieder auf. »Kulturell gibt es jetzt sehr viel mehr Freiheiten«, gab eine »Selbständige mit zwei Kindern« zu, »aber unsere rechtliche Lage ist um 20 Jahre zurückgedreht worden.« Andere Ostfrauen empfanden ähnlich: »Ich habe mich richtig eingeigelt und kann die positiven Aspekte noch gar nicht genießen, zumal ich mich wegen der neuen Gewalt abends nicht mehr zu Veranstaltungen traue. Nach 20 Jahren Berufstätigkeit fühle ich mich durch die Arbeitslosigkeit gedemütigt«, so eine Stimme. Auch Sibyll Klotz sah darin das vordringlichste Ostproblem: »Nach einer Studie des Frauenministeriums können sich 97 Prozent der hiesigen Frauen ein Leben ohne Erwerbstätigkeit nicht vorstellen.« Ute Scheub