Das Rädchen im Zentrum

■ Erich Honecker ist als Verkörperung des inhumanen Ost-Regimes ungeeignet

Das Rädchen im Zentrum Erich Honecker ist als Verkörperung des inhumanen Ost-Regimes ungeeignet

Im Tauziehen um Erich Honecker kämpft der nach Chile zurückbeorderte Botschafter Almeyda jetzt endgültig auf der Verliererseite. Der Mann, den Honecker vor den Fängen des Pinochet-Regimes bewahrte, wird sich dem Bonner Druck beugen müssen. Im Konflikt deutsche versus chilenische Vergangenheitsbewältigung setzt sich die bundesdeutsche Seite durch. Das mag angehen, weil die Rettung vor Pinochet nur in grob vereinfachter Perspektive mit der Bewahrung Honeckers vor der bundesdeutschen Justiz gleichzusetzen ist. Dennoch wäre man schon dankbar gewesen, wenn diejenigen, die damals den Putsch gegen Allende begrüßten und seine brutalen Folgen tolerierten, sich von den Motiven Almeydas zumindest einen Moment lang hätten irritieren lassen.

Doch vor allem die konservative Politelite hierzulande scheint von dem unverschämt selbstgerechten Gefühl dominiert, in jeder Hinsicht von der Geschichte bestätigt worden zu sein. Nur so ist zu erklären, daß Honeckers Verhandlungspartner von einst heute glauben, man könne den früheren SED-Chef der bundesdeutschen Justiz überantworten, ohne die eigene Rolle und Verantwortung im deutsch-deutschen Verhältnis auch nur zu thematisieren. Doch keiner, der sich vor nicht einmal fünf Jahren mit erhobenem Sektglas ins spektakuläre Bild mit dem Staatsratsvorsitzenden drängte, hat sich bislang selbstkritisch zu Wort gemeldet. Statt dessen hat die Bundesregierung in den letzten Monaten ihre kaum glaubliche Entschlossenheit unter Beweis gestellt, sich mit einem Prozeß gegen Honecker sinnfällig von der eigenen deutsch-deutschen Verantwortung zu exkulpieren. Eine juristische Aufarbeitung der DDR-Geschichte aber, die zugleich als Instrument für die Verschleierung der bundesdeutschen Rolle dient, muß mißlingen. Außer einer verzerrten, fürs neudeutsche Selbstverständnis allerdings höchst fungiblen Perspektive auf die Nachkriegsgeschichte wird sie wenig erbringen.

Dabei ist schon jetzt klar, daß Honecker, wenn er denn in die Bundesrepublik zurückkehrt, die hochgesteckten Erwartungen der Öffentlichkeit nicht erfüllen wird. Der kommunistische Kleinbürger taugt nicht als Personifikation des inhumanen Regimes, dem er zwanzig Jahre lang vorstand. Spätestens mit seiner Flucht hat er zu verstehen gegeben, daß er für eine offensive Verteidigung seiner einst vollmundig beschworenen Ideale nicht zur Verfügung steht. Vergeblich wird man deshalb versuchen, aus den jämmerlichen Einlassungen des Angeklagten die Schlüsselfunktion des Systems zu rekonstruieren. Mehr als ein Rädchen im Zentrum wird aber auch Honecker nicht verkörpern.

Das ist gut so. Zwar wird die Anklage gegen den SED-Chef das Interesse von den Handlangern des Regimes wieder — wie im Herbst '89 — auf die zentrale Verantwortung der Parteiführung lenken und damit die historischen Proportionen zurechtrücken; doch je unvollkommener Honecker die Rolle des Bösen verkörpert, desto ungeeigneter ist er als Projektionsfläche für die frei flotierende Schuld aus vierzig Jahren DDR-Geschichte. Für die nachträgliche Legitimation der Spezies ehemaliger DDR-Bürger jedenfalls, die sich von fähnchenschwenkenden Mitläufern unvermittelt in keifende Randalierer verwandelten, die Honecker seinerzeit aus dem kirchlichen Asyl in Lobethal vertrieben, wird der Prozeß gegen den senilen Greis wenig hergeben. Denn keine noch so spektakuläre Veranstaltung im Berliner Landgericht wird die Bilder jubelnder DDR-Untertanen ganz vergessen machen können. Die Erinnerung an die Unterwerfungsbereitschaft der übergroßen Mehrheit bleibt ein Hindernis für die selbstgefällige Reduktion der DDR-Geschichte auf eine bloße Kette von Regierungsverbrechen.

Am Ende wird auch der Honeckerprozeß nicht die entlastende Zäsur bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit bringen. Gerade nach dem Fiasko des Mielke-Verfahrens erscheint es wahrscheinlicher, daß mit einem gescheiterten Verfahren gegen Honecker die prekären Bemühungen des Rechtsstaates ein Ende finden, der DDR- Geschichte mit juristischen Mitteln beizukommen und Gerechtigkeit wiederherzustellen. Die Herausforderung der DDR-Vergangenheit für Gesellschaft und Politik der neuen Bundesrepublik wäre dann unabweisbar. Matthias Geis