INTERVIEW
: „Waffen bleiben unverzichtbar“

■ Die einzige Verteidigungsministerin der Welt, die Finnin Elisabeth Rehn, sprach in Brüssel über den geplanten EG-Beitritt und die Sicherheitspolitik Finnlands

taz: Sie haben in Ihrer Funktion als Verteidigungsministerin am Wochenende in Brüssel an der 2. KSZE-Frauenkonferenz teilgenommen. Was hat Sie dazu bewogen?

Elisabeth Rehn: Ich wurde Mitglied der finnischen Regierung, um die Gleichheit der Geschlechter und mein Land zu verteidigen, und zwar in dieser Reihenfolge. Deswegen finde ich auch die Konferenz sehr wichtig, wo es ja unter anderem um die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen in den Sicherheitsinstitutionen geht. Da es nur sehr wenige Frauen in den höchsten Entscheidungsgremien gibt, sollten Frauen zeigen, daß sie sich umeinander kümmern. Denn gewöhnlich ist es doch so, daß sie, sobald sie an die Spitze kommen, die anderen vergessen.

Was unterscheidet eine Frau von einem Mann an der Spitze des Verteidigungsministeriums?

Das konservative Establishment der Streitkräfte kommt ganz schön in Bewegung, weil ich die Menschen höher bewerte als Panzer und Kaliber, mich für die Rechte der Rekruten einsetze, für eine Politik der Offenheit eintrete und einen Dialog zwischen der Armee und der zivilen Gesellschaft fördere.

Stimmen Sie den Forderungen der Frauen-KSZE nach einem Stopp von Waffenexporten zu?

Waffen sollten viel weniger exportiert werden. Diesen Trend gibt es ja schon seit einigen Jahren. Aber ich halte es für etwas naiv zu glauben, daß wir keine Waffen mehr brauchen. Die Situation in der Welt und sogar in Europa ist viel bedrohlicher als noch vor einigen Jahren. All die nationalen und ethnischen Probleme können jederzeit in kriegerische Auseinandersetzungen münden. Ich glaube nicht, daß irgend jemand wirklich bereit ist, auf Waffen zu verzichten. Ich bin es jedenfalls nicht. Ich war immer der Überzeugung, daß eine unabhängige Nation sich verteidigen können muß.

Ihre Regierung hat letzte Woche angekündigt, daß Finnland der EG beitreten möchte. Welche Auswirkungen wird dies auf Ihre Neutralitätspolitik haben?

Der Begriff Neutralität ist in den letzten Jahren häufig arg verdreht worden. Ich finde es nicht so wichtig, für die Politik, die man verfolgt, einen Namen zu haben. Unsere Außenpolitik war in den letzten zwei Jahren großen Änderungen ausgesetzt. Solange wir zwischen den zwei feindlichen Blöcken eingekeilt lagen, war für uns Neutralität wichtig. Doch heute können wir die alte Bedeutung von Neutralität vergessen. Denn wenn wir der EG beitreten wollen, bedeutet dies nicht, daß wir gleichzeitig der Westeuropäischen Union (WEU) oder der Nato beitreten wollen. Dies wird frühestens 1996 aktuell werden, wenn die in Maastricht beschlossene gemeinsame Sicherheitspolitik der EG umgesetzt wird.

Die Nato hat ebenfalls letzte Woche angekündigt, daß sie sich in Richtung Osten — Polen, CSFR, Ungarn — ausweiten möchte. Wird Finnland dabei sein?

Das ist nichts für uns. Die Nato will die Länder Osteuropas nicht als Vollmitglieder. Und diese angekündigten Liaison-Abkommen geben ihnen keinerlei Schutzgarantien im Fall eines Angriffs. Die Abkommen beschränken sich auf politische Zusammenarbeit. Aber wir haben noch nicht einmal darüber diskutiert, Mitglied der Nato zu werden. Ich halte dies zur Zeit nicht für relevant.

Finnland hat als neutrales Land in der Vergangenheit immer größten Wert auf den KSZE-Prozeß gelegt. Nun scheint es, als ob die Nato im Namen der USA und die WEU im Namen der EG langsam die KSZE aushöhlen und irrelevant machen...

Nein, das stimmt überhaupt nicht. Wir werden auch in Zukunft viele Sicherheitssysteme haben. Natürlich wird die Nato nicht ihre Position aufgeben. Deswegen gibt es ja die Streitereien mit der WEU. Aber die KSZE hat ja eine ganz andere Funktion. Es geht da um Menschenrechte, Demokratisierung, Schutz von Minderheiten. Es ist unsere Verantwortung, die KSZE als das zentrale Sicherheitssystem auszubauen.

Sehen Sie keinen Widerspruch zwischen Ihrer Aussage über die KSZE und Ihrer Ankündigung, daß sich Finnland spätestens 1996 entscheiden muß, ob es der WEU und der Nato beitritt? Das würde doch die KSZE untergraben.

Dies ist kein Widerspruch. Denn selbst wenn die WEU zum Sicherheitsarm der EG ausgebaut wird, müssen wir nicht automatisch dabei mitmachen, wenn wir der EG beitreten. Denn es gibt auch in der EG Länder wie Irland oder Dänemark, die sich neutral verhalten. Außerdem gibt es große Unterschiede zwischen den großen EG-Staaten — die Deutschen haben andere Positionen zur KSZE und zur WEU als die Franzosen oder die Briten. Ein Problem für die KSZE gibt es allerdings: Die vielen neuen Mitglieder, von denen nicht alle Erfahrungen mit Demokratie und dem Schutz der Menschenrechte haben.

Hat sich Ihre Regierung mehr aus wirtschaftlichen oder Sicherheitserwägungen zum EG-Beitritt entschlossen?

Der wirtschaftliche Aspekt stand eindeutig im Vordergrund. Eine EG-Mitgliedschaft gibt uns keinen militärischen Schutz. Für unsere Verteidigung müssen wir selbst sorgen. Natürlich sind wir besorgt darüber, was in Rußland passiert. Unsere Grenze mit Rußland ist 1.300 Kilometer lang. Und es gibt dort wieder Leute, die sagen, Finnland sollte nicht unabhängig sein. Das fordert zum Beispiel der Chef der Liberalen Partei in Petersburg. Und der hat sechs Millionen Wähler hinter sich. Interview: Michael Bullard