Popularität durch soziales Engagement

János Palotás, Chef des ungarischen Unternehmerverbandes, kämpft für eine soziale Marktwirtschaft  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Eigentlich wollte János Palotás (36), Chef des Landesverbandes der Unternehmer (VOSZ), nur die ungarische Demokratie retten. Daß er dabei zunächst einen Taschenrechner benutzte, mochte noch angehen. Als er dann gegen die Rentenbeschlüsse vor das Verfassungsgericht zog, platzte dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF) der Kragen: Vergangene Woche forderte die Regierungspartei den unbequemen Widersacher auf, ihre Fraktion zu verlassen. Der parteilose Starunternehmer, der über eine MDF-Liste ins Parlament gewählt wurde, ist seit heute nun offiziell, was er längst war: unabhängiger Abgeordneter und zugleich Symbolfigur eines neuen Ungarns.

Daß sich der prominenteste Vertreter des ungarischen Kapitals für die Armen und Ärmsten einsetzt, mag ungewöhnlich scheinen — neu ist es nicht. 1982, ein Jahr nach seinem Ökonomiestudium, begann Palotás seine Karriere als Unternehmer mit einem kleinen Beleuchtungsunternehmen. Mittlerweile verfügt er über ein ganzes Firmenkonglomerat, das unter anderem im Bereich Computertechnik, Medien, Marketing und Investment arbeitet. Populär wurde Palotás während der Verkehrsblockade im Oktober 1990, als Taxi- und LKW-Fahrer den Verkehr tagelang lahmlegten, nachdem die Regierung Benzinpreiserhöhungen angekündigt hatte. Während der Verhandlungen mit den Streikführern hatte sich Ministerpräsident József Antall im Krankenhaus verschanzt; der damalige Innenminister Balázs Horváth erschien angetrunken zu den Gesprächen. Palotás, der bei den Verhandlungen die Unternehmerseite vertrat, zwang die Regierung, die Härte beweisen wollte, schließlich zu einem Kompromiß.

Mit der Debatte um die Rentenerhöhung ging es weiter. Palotás rechnete sorgfältig nach und kam zu dem Ergebnis, daß laut der neuen Gesetzesvorlage die Realeinkommen der 2,5 Millionen Pensionäre beträchtlich sinken und viele Renten unter das Existenzminimum von knapp 10.000 Forint (rund 210 Mark) rutschen würden. Die Verantwortlichen tricksten an den Zahlen herum und hielten das Problem für bereinigt. Doch Palotás blieb stur: Die Verfassung, argumentierte er, garantiere jedem Staatsbürger das Existenzminimum, folglich sei der Entwurf verfassungswidrig. Solche Worte brachten die MDF-Fraktion erst recht in Rage. Seine Modifizierungsanträge wurden niedergeschmettert, Regierungskoaltion und Oppositionsparteien stimmten Ende Februar in seltener Einmütigkeit für die Vorlage — allerdings vergeblich. Derzeit prüft das Verfassungsgericht, ob sie mit dem Grundgesetz des Zehn-Millionen-Landes zu vereinbaren ist — der Unternehmer hatte Klage eingereicht.

Spätestens seit den Verkehrsblockaden ist der VOSZ-Chef nach Staatspräsident Árpád Göncz nicht nur der zweitpopulärste Mann im Land; auch die Regierungskoalition hat es ihm zu verdanken, daß sie noch immer amtiert. „Im Interesse des sozialen Friedens würde ich mich heute zwar ähnlich verhalten wie bei der Taxiblockade“, sagt Palotás der taz, „aber nicht mit dem Ziel, der Regierung zu helfen. Sie ist es nicht wert zu überleben, weil sie als Ganzes genommen vollkommen ineffizient arbeitet.“ Aneinandergeraten ist Palotás mit der Regierung in den letzten anderthalb Jahren bei diversen Anlässen. So kritisierte er wiederholt die noch immer diffuse Privatisierungspolitik der Regierung. Als die Gewerkschaften im Dezember Verbesserungen in der Sozialpolitik verlangten, warf er der Regierung vor, dies einfach zu ignorieren. Daß er sich in seiner Rolle als VOSZ-Chef für jene einsetzt, die der Systemwechsel besonders hart trifft, entspreche zwar nicht ganz den normalen Umständen, räumt der Unternehmer ein. Er gesteht jedoch freimütig, daß dahinter handfeste Überlegungen stecken. „Wenn die Regierung die Kaufkraft von 2,5 Millionen Menschen derart vernachlässigt, kann Ungarn in eine gefährliche ökonomische Situation geraten.“