Fünf Spalten Regie, paar Zeilen Musik

■ GMD Marcello Viotti, bald Bremens Opernchef, über neue Pläne, die Macht der Regisseure in der Oper sowie des Müllers Lust

Seit drei Jahren ist er Bremens Generalmusikdirektor, und demnächst wird er, unter Heymes Intendanz, am Bremer Theater auch noch die Oper leiten. Die taz besuchte den nimmermüden Marcello Viotti in seinem Haus in Horn.

taz: Sie hatten bis jetzt auch nicht gerade wenig zu tun...

Marcello Viotti: ...ja, dieser Spruch: „Viotti ist nie da“; das ist gar nicht wahr. Die meiste Zeit bin ich da. Es gibt unter Dirigenten zwei Philosophien: Die einen bleiben in einer Stadt fünfundzwanzig Jahre lang; das hat Günther Wand in Köln gemacht, solche gibt es nicht viele. Die andern wie ich reisen gern: Das ist eine musikalische Bereicherung: man trifft auf andere Musiker. Nebenbei gebietet auch der Schallplattenmarkt, daß man ein bißchen präsent ist.

Jetzt sind sie zudem Opernchef. Was hat sie gelockt?

Ich kann jetzt mein eigenes Programm machen: Opern, Konzerte, alles nach einer gewissen Dramaturgie. Wissen Sie, mal nebenbei: Überall will man von mir italienische Opern. Und ich will nicht, grad weil ich Marcello Viotti heiße; hier kann ich machen, was ich liebe: Strauß, Pfitzner, vielleicht auch mal einen Wagner.

Womit wollen Sie sich profilieren? Wie sollen wir in zehn Jahren über Marcello Viotti reden?

Was kann ich tun? Ich probiere, das Orchester aufzubauen. Ich probiere, die Qualität zu verbessern; das dauert aber Jahre. Jetzt schon machen wir ein Programm mit einem gewissen pädagogischen Hintersinn: zum Beispiel neulich den Lutoslawski, ein sehr schweres Stück, harte Arbeit, aber es wurde gut. Am liebsten wär mir, wenn es hieße: das war zum Glück nicht so ein autoritärer Kerl, der hat mit Ruhe gearbeitet und keinen Streß gemacht.

Wie werden Sie sich die Arbeit mit Heyme teilen. Darf er auch inszenieren?

Ja, so war's ausgemacht: in jeder Spielzeit eine Oper; die erste mit mir am Pult.

Von Peter Hacks stammt das schöne Wort: Die Oper ist zuallererst Musik, und der der Regisseur ist nur ein Gehilfe des Dirigenten.

Ja, heutzutage haben die Regisseure sehr viel Macht in der Oper, tatsächlich ein bißchen zu viel. Schaun Sie nur in die Kritiken: fünf Spalten über die Regie, ein letzter Absatz dann zur Musik. Aber ich hatte bisher nur einmal Krach: das war eine „Aida“ in Italien. Da wollte der Regisseur, daß die Bläser mit ihren riesigen Aida-Trompeten nicht, wie üblich, stehen, sondern mit ihren enormen Spezialdingern hin und her marschieren. Die hätten erbärmlich rumgekiekst und sich die Zähne eingeschlagen. Unmöglich. Da hab ich dann schon mit meinem Auszug drohen müssen.

Man könnte mit Hacks noch weiter zuspitzen und sagen, daß die ganze erzwungene Schauspielerei die Opernsänger bloß unnötig quält und am Singen hindert.

Einverstanden.

Dennoch wird fast durchweg ein gewisser „Naturalismus“ verlangt.

Ja, ein schönes Beispiel, wo's gar nicht geht, ist der Troubadour. Wahnsinnig schwer für einen Regisseur. Ich hab auch noch keine einzige gute Inszenierung gesehen. Je glaubwürdiger diese wirre Handlung nachempfunden oder nachgespielt wird, desto lächerlicher mutet die Oper an. Wenn man ihr aber einfach ihren Belcanto läßt, ist es gut.

Würden Sie gern mal selber inszenieren?

Nein...Jetzt nicht. Aber als Dirigent hab ich Traumstücke: Simone Boccanegra von Verdi ist eins, damit eröffnen wir die Spielzeit; inszenieren wird Terry Hands, ein Traumregisseur.

Worauf wollen wir uns jetzt sonst noch freuen?

Erstmal auf sechs Premieren pro Spielezeit. In der nächsten sind es allerdings noch fünf und einige Wiederaufnahmen; das heißt jeweils: ein großer Italiener, ein Klassiker, einmal Verismus, ein großes deutsches Stück, dazu einmal Operette oder Musical, und ein modernes Stück, vielleicht auch mal ein Auftragswerk. Zum Beispiel ein Verdi, ein Puccini, ein Wagner oder Strauß, einmal Händel oder Haydn, einmal Lehar oder Offenbach, und eben ein Zeitgenosse, vielleicht Britten, Henze, oder in Italien Arrigo, der schreibt grad an einer neuen Oper namens „Il bell–Antonio“. Und es gibt Ravel und Poulenc. Von dem möcht ich gern die Karmeliterinnen machen. Aber Sie sehen: insgesamt ein ganz normaler Spielplan.

Wird's auch was Kleines geben auf Nebenbühnen?

Ja, das wird wichtig, da wollen wir einiges machen, kleine Opern, La serva padrona zum Beispiel von Pergolesi, oder auch mal was Komisches.

Das sind ja auch schöne Gelegenheiten für Ihren Nachwuchs.

Natürlich. Übrigens werden demnächst acht neue Sänger und Sängerinnen anfangen, lauter blutjunge, tolle Leute. Und unzählige kamen zum Vorsingen; Bremen ist ja mittlerweile geradezu berühmt als Sprungbrett nach ganz oben.

Und das Publikum? Sind Sie mit dem, wie's kommt, zufrieden?

Bis jetzt ja. Das ist ja eine ganz eigene Welt mit einem Fan-Publikum genau wie im Fußball. In Berlin erleb ich's, daß Leute aus Rom angeflogen kommen wegen einer Sängerin; es gibt Reisebüros extra für Opernreisen, das wäre überall sonst undenkbar. Bloß die jungen Leute fehlen ein bißchen. Deshalb lade ich jetzt Studenten zu meinen Generalproben ein und erkläre die Musik zusammen mit dem Orchester. Neulich kamen selbst zu moderner Musik, zu Trojan, Schnittke, Lutoslawski, so zweihundert. Davon kamen ins Konzert immer noch vierzig und hinterher johlten sie begeistert, als wär's Jazz gewesen, und die alten Abonnenten waren ganz erschrocken.

Machen Sie's auch mal richtig öffentlich und für uns alle? So wie Gerd Albrecht in Hamburg mit Erfolg?

Kann gut sein. Nur muß man das langsam aufbauen.

Vielleicht auch mal mit einem Vorbereitungs-Feature im Fernsehen, wo wir schon einen Sender haben?

Von mir aus sofort. Und wer schon jetzt mal zur Generalprobe kommen will: willkommen! Montags um elf. Interview: Manfred Dworschak