Seichtes Alsterwasser blubbert im Äther

Die Hamburger Anstalt für neue Medien (HAM) macht seit sechs Jahren „Standortpolitik“ mit „Gütezeichen“  ■ Von M. Busche und M. Stötzler

Fünf private Radiosender und vier private TV-Programme sind die „Erfolgsbilanz“ der Hamburgischen Anstalt für neue Medien (HAM) nach sechs Jahren. Der erste HAM- Vorstand, dessen Amtszeit in der vergangenen Woche endete, ließ Jubelmeldungen verbreiten: „Allein der private Hörfunk hat in kurzer Zeit einen Marktanteil von 45 Prozent erobert.“ Die „Medienmetropole Hamburg“ habe damit „eine der vielfältigsten Rundfunklandschaften Deutschlands“.

Doch die Amtsführung der HAM ist in Wahrheit eine mehr als zweifelhafte — nicht nur, weil im Radio hauptsächlich seichtes Alsterwasser blubbert. Erster Beleg: der rasante Aufstieg des Lokalsenders OK Radio. Krebste der Sender jahrelang am Rande der Pleite, ist er nun der neue Shootingstar an der Elbe. Einer radikalen Programmreform ging eine ebenso radikale Umstrukturierung der Organisation des Senders voran. Diese Reform hat allerdings den entscheidenden Nachteil, daß OK Radio nun der gültigen Lizensierungsgrundlage „Zweisäulenmodell“ nicht mehr entspricht. Das „Zweisäulenmodell“ nämlich soll durch eine Trennung von Anbietergemeinschaft — 24 Organisationen, die das Programm bestimmen — und der finanzierenden Betriebsgesellschaft einen „gemeinnützigen“ Rundfunk garantieren. Ein Vertrag zwischen OK-Anbietergemeinschaft und -Betriebsgesellschaft aber sieht folgende Vereinbarung vor: „In diesem Rahmen wird durch diesen Vertrag der Betriebsgesellschaft, ohne daß eine Übertragung stattfindet, das Recht zur Ausübung der Rundfunklizenz eingeräumt.“ Die Folge: Der störenden gesetzlichen Vorgaben enthoben, sendet OK Radio seitdem ein streng kommerziell orientiertes Programm. Zwölf Prozent aller HörerInnen danken es der HAM und lassen die Kassen klingeln. Was OK Radio angeht, tut sich der stellvertretende Direktor der HAM, Lothar Jene, mit einer originellen Auslegung des Mediengesetzes hervor: Die zwei Säulen seien lediglich „näher aneinandergerückt“. Daß die Anbietergemeinschaft nur noch auf dem Papier existiert, übersieht Jene geflissentlich.

Anderswo aber drückt die HAM kein Auge zu. Der Lizenzantrag des Nichtkommerz-Senders radio st. pauli für die ebenfalls „gemeinnützige“ Frequenz 97,1 MHz wurde mit der Begründung abgewiesen, die AnbieterInnengemeinschaft habe nicht genügend Einfluß auf das Programm. Geradezu rührend nehmen sich dagegen die Bemühungen der HAM aus, der Klage der OK-Betreiber über „zu geringe Sendereichweite“ abzuhelfen. Anfang 1990 wurde ihnen zusätzlich zur Frequenz 95,0 MHz die nur im Osten Hamburgs empfangbare Frequenz 88,1 MHz zugeschoben. Auf die laut Mediengesetz eigentlich notwendige Ausschreibung der Frequenz verzichtete die HAM. Die Medienanstalt befürchtete nämlich eine Bewerbung des mit radio st. pauli verbundenen Stadtteilsenders „Radio Freies Bergedorf“. Diese Bewerbung hätte aufgrund der für kommerzielle Anbieter wenig attraktiven Stärke der Frequenz alle Chancen gehabt. Der Erfolg der massiven HAM-Amtshilfe ließ nicht lange auf sich warten. Mittlerweile ist OK Radio in den schwarzen Zahlen.

Wie ein Sender auch ohne mühseliges Bewerbeverfahren zu einer Frequenz kommen kann, zeigt das Beispiel Klassikradio. Der von der UFA (Bertelsmann) betriebene Musiksender hatte sich 1989 erfolgreich um einen Satellitenkanal beworben. Nur — es gibt bisher kaum bezahlbare Empfänger für Radio in CD- Qualität. Auch hier war für die HAM guter Rat billig. Ganz unbürokratisch überließen die HAM-Vorständler Klassikradio die terrestrisch empfangbare UKW-Frequenz 98,1 MHz. Christian Rink, Vorstandsvorsitzender der HAM, erklärt freimütig: „Wir hoffen, daß damit der Medienstandort Hamburg ein weiteres Gütezeichen erhält.“ HAM- Vize Jene verteidigt die Entscheidung mit dem Argument, daß die HAM direkt nach der Entscheidung für Klassikradio die Frequenz 97,1 MHz ausgeschrieben habe, also niemanden benachteilige.

Auf dieser Frequenz sendet das jüngste Sorgenkind der HAM, die aus München importierte Jazzwelle Plus. Ist allein schon das Abstrahlen eines solchen Spartenprogramms auf einer gemeinnützigen Frequenz skandalös, verdarb es sich der Jazzsender selbst mit der Springer- Presse. Statt Kulturberichten, Kritiken und Hintergrundinformationen freundliches Gedudel aus den dreißiger und vierziger Jahren. Schon nach sechs Monaten Sendezeit kündigte der erste von acht Gesellschaftern seine Mitarbeit wegen mangelnder Einflußmöglichkeit auf. Laut Mediengesetz könnte dies ein Grund sein, die Lizenz zu entziehen. Aber wer glaubt an Gesetze?

Gesetzestreu hat sich die HAM, ihrer Meinung nach, auch im Falle Alsterradio (ehemals Radio 107) verhalten. Das Programm wendet sich an die kaufkräftigen mittelalten Hörer über 35. Weil sie vorher nur rote Zahlen schrieben, machen die Radio-107-Veranstalter ganz einfach ein „radikal anderes Programm“ — Oldies für Oldies bei journalistischer Schmalstkost. Da dieses Radio mit dem 1987 lizensierten nichts mehr gemein hat, stellt sich die Frage, warum diese Frequenz nicht neu ausgeschrieben wurde. Die HAM ist um Antwort nicht verlegen: „Im wesentlichen geht es hier um eine Änderung der Musikfarbe, die Änderung der Musikfarbe ist aber keine entscheidende Lizenzgrundlage.“ Das stimmt nur halb. Auch wenn die Musikfarbe kein entscheidender Lizensierungsgrund ist, wird über die Musik doch die Zielgruppe angesprochen. Eine Änderung der Zielgruppe ist aber zulassungsrelevant. Die Neuausschreibung der Frequenz wäre aber das Eingeständnis des Scheiterns der Hamburger Medienpolitik. Doch wer macht das schon gerne?