Eine Geisterbeschwörung

■ Pater Iden und sein Jünger Volker Spengler

Der Kritiker ist auf der Höhe seines Ruhms, wenn er — gefürchtet wird. Mit Alfred Kerr: Wenn es nicht mehr um das zu Kritisierende geht, sondern um die Kritik. Wenn der Dramatiker ein Erlebnis schafft, und der Kritiker das Erlebnis des Erlebten. Wenn die Kritik dem Drama gleichwert geworden ist. Wenn die Kritik auf die Bühne gehoben wird.

So geschehen mit Peter Iden, Chefkritiker und Mitherausgeber der 'Frankfurter Rundschau‘. Iden in szenischer Lesung. Statt Wesentliches zu pointieren, wie weiland Kerr, imitiert Peter Iden das Gestöhne des Publikums. Er heult über das Theater, er verflucht es, pflegt das Unglück hinter den Kulissen stets als Katastrophe auf der Bühne wiederzuentdecken.

Zunächst sind darüber beleidigt — seelenklar: die Schauspieler. Die Eitlen vor allem. Volker Spengler, der den geringsten Grund besitzt, wird in Frankfurt meist umhätschelt, aber auch meist verkannt. Er ist der quäkende Klassenclown des Theaters. Der Meister der krakeelenden Bosheit, unübersehbar tuntig in seiner ganzen Korpulenz, ein zynisch- witziger Schreihals, der sich jede Rolle untertan macht — nie umgekehrt. Nun liest er Iden, den Mogul der Frankfurter Theaterheuchelei. Schwebt in Gefahr, die im Entlarven des Idenschen lauert, dessen Ruhm noch zu erhellen. Oder dem Erratischen eines weitschweifigen, kommastrotzenden, seelengepeinigten Autors mit nichts entgegentreten zu können, da dieser abwesend bleibt. Keine Kontur erhält. Spengler ist nicht Iden, sondern sein Kritiker, sein, wie der heraussprudelt, Jünger, Anhänger...

Sprachspiele: Spengler als Jünger der Idenology-Kirche, der sich mit seinem Meister identifiziert, mit einer fast idenfixen Idenotie, um aus ihm, P.I., noch Post Intelligence oder Perfect Incompetence abzulesen. So stellt sich das Gefühl ein, mit Volker Spengler Mitleid haben zu müssen. Er stellt seinen Geist an die Wand und versucht, einen Unsichtbaren anzuspeien.

Nicht, daß Iden nicht angreifbar wäre. Wo er doch in seiner ganzen stockkonservativen Habermas- Kommunikabilität (alles entfremdet, verdinglicht, Krise der Individualität — schluchz) immer daneben trifft. Der Mann irrt sich in seiner Schwadroniererei stets so unverschämt, daß die 'Rundschau‘ in Frankfurt zum meistgelesensten Blatt für Theaterleute avanciert ist. Das Feuilleton strotzt vor verspäteter Kompetenz, hinkt Jahre hinterher. Wohl deshalb ist sie in Theaterkreisen so erfolgreich. Und Iden der Lieblingsgegner. Man entdeckt schnell, daß eine Theaterkritik, wenn sie von P.I. stammmt, nur gut tut. Besonders, wenn sie an der Berliner Schaubühne stattfand — wo P.I. Chefdramaturg werden wollte und abgelehnt wurde, wo P.I. einen Dokumentarfilm drehen wollte und abblitzte. Iden arbeitet sich seit je an diesem Theater ab und verzweifelt vor dem Frankfurter Schauspiel, dem „Jammerladen“: alles a priori.

Spengler knurrt die Iden-Floskeln „War das was?“ und „Was ist denn da los?“ zwerchfellerschütternd. Dann schwenkt er zu Idens Ideologie über: daß Leben auf dem Spiel des Theaters steht, klingt so gelogen wie, daß das Theater auf dem Spiele stehe (das Transzendentale, um angeblich Mißlungenes zu beweisen: Iden ist ein Wollender, kein Schauender). Woraus Spengler die mondsüchtige Conclusio ersteigert: „Wir müssen uns selber kennen, um uns retten zu können.“ Das ist Pater Iden pur. Aber Spengler lacht. Wir nicht mehr, denn ihn zu zitieren gesteht Idens zweifelhafte Macht in Frankfurt ein: als Feuilletonchef, als Co-Vorstand des Museums für Moderne Kunst, Direktor der Schauspielschule...

Die erwartete Pointe am Schluß mußte also Idens schnelles Ende als Schauspieldirektor in Stuttgart werden — der Multichef, der auch mal scheitern muß, Spengler in Hochform. Er geiert und imitiert Iden: der ist nicht Schauspieldirektor geworden — wegen der Stuttgarter Presse, harhar. Spengler fiept und pfeift. Hat die Presse doch den Kritiker reingelegt. Da klingt als O-Ton Peter Iden aus dem Lautsprecher. Aber es ist nicht Iden, sondern ein Fake; ein Schauspieler, der Iden imitiert. Damit war die Show eigentlich geplatzt: Iden ist und bleibt abwesend. Nur seine Schwester hat angeblich mitstenografiert — und Iden sich über seine Anwälte die Tantieme sichern lassen. Arnd Wesemann