: Menachem Begins Metamorphosen
Gestern starb einer der umstrittensten Politiker Israels/ Der Friedensnobelpreisträger gehörte in seiner Jugend zu den bewaffneten Untergrundkämpfern im britischen Mandatsgebiet Palästina ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Der frühere israelische Ministerpräsident und Likud-Politiker Menachem Begin ist gestern morgen in einem Tel Aviver Krankenhaus gestorben. Vor einer Woche erlitt der 78jährige einen Herzinfarkt.
Vier Ereignisse machten ihn zu einem der besonders umstrittenen und widersprüchlichen israelischen Politiker: das Attentat auf das King David Hotel 1946 und das Massaker in Deir Jassin 1948, beide unter Beteiligung der von ihm angeführten Untergrundorganisation „Ezel“, der Friedensschluß mit Ägypten 1979 und der israelische Einmarsch in den Libanon 1982, beide während seiner Amtszeit als Ministerpräsident. Es war der Verlauf dieses Krieges, der den damaligen Ministerpräsidenten offenbar bewog, sich plötzlich und ohne Begründung aus dem politischen Leben zurückzuziehen. Nach Aussage seines ehemaligen Kampfgefährten aus der Untergrundorganisation „Ezel“ („Irgun Zevai Leumi“— „Nationale Kampforganisation“), Jakov Meridor, war der Hauptgrund für seine Rücktrittsentscheidung, daß während des Libanonfeldzuges 600 Israelis fielen. Nach dem Massaker an den Bewohnern der palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, Sabra und Schatila, forderten schließlich bis zu 400.000 israelische Demonstranten den sofortigen Rückzug der Armee aus dem Libanon. Jakov Meridor: „All dies ließ Begin keine Ruhe mehr. Er konnte nicht mehr schlafen.“ Es war das Ende seiner politischen Laufbahn.
Zu seinen Bewunderern gehört Ariel Scharon, israelischer Wohnungsbauminister und „Architekt“ der Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, der unter Begin Verteidigungsminister war. Auf die Frage nach der wichtigsten Entscheidung seines früheren Dienstherrn antwortet er ohne Zögern: „Der Angriff auf den irakischen Atommeiler 1981“. Ezer Weizmann, Scharons Vorgänger in der Regierung Begin, merkt an, daß sich der Verstorbene stets vor allem auf den Einsatz von Gewalt verlassen habe. Allerdings habe sich Begins Einstellung insofern verändert, als er das Verhältnis von Mittel und Zweck zunehmend in Betracht zog. Dabei kam er zu taktisch klugen Entscheidungen. Als Beispiel nennt Weizmann den Friedensschluß mit Ägypten, der erst durch die Rückgabe der besetzten Sinai-Halbinsel möglich wurde. So erhielt Begin mit dem Ägypter Sadat den Friedensnobelpreis.
Menachem Begin wurde am 16.August 1913 in Polen geboren. Als sechzehnjähriger Jura-Student schloß er sich der rechtsextremen jüdischen Betar-Bewegung an. Der „Revisionisten“-Führer Zeev Jabotinsky ernannte Begin 1939 zum Betar-Vertreter in Polen. Er organisierte illegale Auswanderungsmöglichkeiten für polnische Juden in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. 1940 wurde er von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet, wegen illegaler zionistischer Tätigkeit zu acht Jahren Haft verurteilt und nach Sibirien deportiert. Seine Familie wurde in der Konzentrationslagern der Nazis ermordet.
Im Jahre 1942 ließen die Sowjets Begin im Rahmen einer Amnestie frei. 1943 konnte er mit Hilfe der polnischen Armee nach Palästina entkommen, wo er 1944 das Kommando von „Ezel“ übernahm. Diese Gruppe war als militärische Kampforganisation der rechten zionistischen Opposition gegründet worden und begann noch während des Zweiten Weltkrieges einen „Zweifrontenkrieg“ gegen die britische Mandatsmacht in Palästina und gegen die arabisch-palästinensische Bevölkerung. Zu den besonders berüchtigten Aktionen von „Ezel“ und anderen bewaffneten Gruppen gehört das Massaker an der arabischen Bevölkerung von Deir Jassin im April 1948, bei dem über zweihundert Menschen ermordet wurden. Der Überfall auf das Dorf löste die Flucht der Palästinenser aus dem späteren israelischen Staatsgebiet aus. Zwei Jahre zuvor hatte „Ezel“ das King David Hotel, damals Hauptquartier der britischen Mandatsmacht in Jerusalem, gesprengt. Es gab etwa hundert Tote.
Aus den Wahlen zum Zionistischen Kongreß ging 1946 die „Revisionistische“ Rechte als zweitstärkste Partei der jüdischen Einwanderer in Palästina hervor. Nach der Gründung des israelischen Staates 1948 vereinigten sich die „Revisionisten“ mit der „Freiheitsbewegung“ zur Herut-Partei. Als ihr politischer Wortführer wurde Begin in die erste Knesset gewählt und blieb bis 1983 Abgeordneter. Aus einem Zusammenschluß von Herut mit der „Liberalen Partei“ wurde unter seiner Führung 1965 der „Gachal“-Block, seit 1973 entstand auf dieser Basis die „Likud“-Partei. Nach acht Wahlkämpfen siegte 1977 „Likud“ zum ersten Mal gegen die bis dahin regierende Arbeiterpartei, und Begin wurde Ministerpräsident. Als Begin 1983 abdankte, übernahm der jetzige Ministerpräsident Schamir auf seinen Wunsch die Führung des Likud.
Aus Anlaß von Begins erstem USA-Besuch 1948 veröffentlichte eine Gruppe jüdischer Liberaler, unter ihnen Hannah Arendt und Albert Einstein, in der 'New York Times‘ einen Brief, in dem es hieß: „Zu den besorgniserrregenden Entwicklungen im neugegründeten Staat Israel gehört der Aufstieg der ,Herut-Partei‘, die in Struktur, Methoden und politischer Philosophie den Nazis und anderen faschistischen Parteien nicht unähnlich ist. Sie predigt eine Mischung aus Ultra-Nationalismus, relgiösem Mystizismus und rassischer Überlegenheit. Es ist tragisch, daß sich die amerikanischen Zionisten weigern, öffentlich gegen Begins Politik aufzutreten.“
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