Deng Xiaopings letzte Offensive?

■ Der Besuch des chinesischen Außenministers wird untermalt von Angriffen auf die „Konservativen“

Die Bundesrepublik hat Schlüsselbedeutung für Chinas EG-Politik und ist auch sein wichtigster Handelspartner in Europa. Dennoch waren die Beziehungen zwischen beiden Ländern in letzter Zeit überschattet von Bonns kritischer Haltung zu den fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen der Regierung in Peking. Nach dem Tiananmen-Massaker hat die BRD eine restriktive Kredit- und Wirtschaftshilfe-Politik gegenüber China verfolgt. Im Gegensatz zu Ministerpräsident Li Peng ist der Name des jetzigen Bonner Staatsgastes, Außenminister Qian Qichen, nicht mit den Bluttaten des Junis 1989 in Verbindung gebracht worden. Die chinesische Führung setzt auf Qian Qichen als einen Politiker, der die „Öffnungspolitik“ der Volksrepublik gegenüber dem Westen glaubhaft machen und politisch um Entgegenkommen werben soll. Vorsichtig kommentierte die offizielle chinesische Nachrichtenagentur 'Xinhua‘, die chinesisch-deutschen Beziehungen befänden sich auf dem Wege der Normalisierung.

Dem Besuch in Deutschland vorausgegangen sind Gespräche mit der britischen Regierung, Hauptgegenstand war die Zukunft Hongkongs. Aber gerade jüngste, heftige Angriffe Pekings auf die Hongkonger Regierung haben dort wie in Europa die Furcht bestärkt, China reiße schon vor der „Rückkehr“ der Kronkolonie 1997 faktisch die Macht an sich und werde danach das Versprechen der „ökonomischen Eigenständigkeit“ Hongkongs nicht respektieren. Nicht zuletzt um diese Bedenken zu zerstreuen, wird Qian in Brüssel mit Mitgliedern der Europäischen Kommission zusammentreffen. Die Europareise des Außenministers folgt fast unmittelbar auf die Staatsbesuche seines Chefs Li Peng in Italien, Portugal, der Schweiz und Spanien. Nach der offenen Feindseligkeit, die dem Premier in der Öffentlichkeit entgegenschlug, hofft die chinesische Regierung jetzt, Qians Besuch werde in einer „geschäftsmäßigen“ Atmosphäre erfolgen.

Auch findet die Reise nur zehn Tage vor der jährlichen Sitzung des chinesischen Parlaments, des Volkskongresses, statt. Politische Beobachter glauben, daß unter der relativ ruhigen Oberfläche der chinesischen Innenpolitik die Auseinandersetzung zwischen den konservativen Hardlinern und den Reformern schwelt. Dennoch wird nicht erwartet, daß es diese politische Auseinandersetzung ist, die den Volkskongreß dominieren wird. Im Gegenteil, wie so oft werden die Abgeordneten voraussichtlich ihre einmütige Unterstützung für den Haushalt, die neue Gesetzgebung und die Wirtschaftspolitik erklären.

Öffnen und Festhalten

Vielmehr wird das politische Leben im China dieser Tage durch die Rückkehr von „Elder Statesman“ Deng Xiaoping aus seiner zweieinhalb Jahre währenden Abgeschiedenheit geprägt. Der 87jährige Deng, der keinerlei offizielles Amt innehat, unternahm einige wichtige politische Vorstöße. Ihm geht es darum, die wirtschaftliche Reformpolitik der letzten dreizehn Jahre gegen Angriffe der „Konservativen“ zu verteidigen. Anläßlich seiner Reise nach Shanghai und durch die Provinz Quangdong erklärte Deng, die ökonomischen Reformen dürften nicht nur nicht aufgehalten, sie müßten vielmehr beschleunigt werden. Die großen überregionalen Zeitungen haben inzwischen Dengs Botschaft aufgegriffen und schlagen jetzt sogar vor, China solle sich der westlichen Welt viel großzügiger öffnen; schließlich sei der Kapitalismus nichts, vor dem sich die Chinesen fürchten müßten.

Auf derlei Vorstöße und Kommentare wird Außenminister Qian vermutlich bei seinem Besuch in Deutschland mit großem Nachdruck verweisen. Dies im Bemühen, die Bundesregierung davon zu überzeugen, daß an der Integration Chinas in die Staatengemeinschaft letzten Endes kein Weg vorbeiführt. Allerdings dürfte den Bonner Politikern klar sein, daß auch der jüngste Vorstoß Dengs weit von jedem Gedanken an politische Reformen entfernt ist. Dengs Angriffe auf den Kulturminister und einen Teil der Parteipresse bewegen sich auf der Linie der konservativen Modernisierung. Gefordert wird, den Hauptakzent der Propaganda auf die ökonomische Entwicklung und ihre beiden Rahmenbedingungen, die „Öffnung“ und das „Festhalten“ an der kommunistischen Ideologie zu legen. Für die Feinde der Wirtschaftsreform, die rund die Hälfte der inneren Führung der KP ausmachen, ist allerdings selbst dieser Vorstoß Dengs Ausdruck einer schädlichen politischen Linie. Chinas Gerontokrat Nummer eins wird deshalb versuchen müssen, vor dem Parteitag der KP Chinas im Herbst klare Mehrheitsverhältnisse für die Linie Modernisierung minus politische Reform zu schaffen. Offenbar setzt er darauf, daß die Millionen Chinesen, die 1989 für ökonomische und politische Reformen auf die Straße gingen, diesmal kuschen werden. Catherine Sampson, Peking