SPD läßt Lafontaine im Regen stehen

SPD-Präsidium läßt an der Unterstützung der Partei für die Maastrichter Verträge keine Zweifel/ Lafontaines neuer Vorstoß abgeblockt/ Kronawitter schießt beim Asylrecht quer  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Unverzichtbar, größte Chance, beste Gewähr für die Integration des größer gewordenen Deutschland — der SPD-Vorsitzende Björn Engholm operierte mit Superlativen, als er gestern die Haltung seiner Partei zur europäischen Integration erläuterte. Die SPD wird zu den Verträgen von Maastricht ja sagen, die geforderten Nachbesserungen sind keine Bedingung für die Ratifizierung, sondern sollen „im Laufe der weiteren Abfolgen“ durchgesetzt werden. Allerdings erwartet die SPD von der Bundesregierung, daß die Ratifizierung mit gemeinsamen Absichtserklärungen verbunden wird. Die SPD will erstens keinen Automatismus“ von der zweiten zur dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, vielmehr eine erneute parlamentarische Entscheidung vor der Einführung der gemeinsamen Währung. Zweitens sollen die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt, das „Demokratiedefizit“ überwunden werden. Europa darf drittens nicht Schwächung des Länderföderalismus heißen, und schließlich soll Großbritannien in Richtung Sozialunion gedrängt werden. Als Björn Engholm und die SPD-Europaexpertin Heidi Wieczorek-Zeul vor die Presse traten, war klar, daß der saarländische Ministerpräsident und Partei-Vize Oskar Lafontaine sich im Parteipräsidium isoliert hatte. In der vergangenen Woche — mit einer Aschermittwochsrede — hatte Lafontaine wieder einmal die Öffentlichkeit und seine eigene Partei überrascht: Das Saarland könne den Maastrichter Verträgen im Bundesrat nicht zustimmen, weil nach dem Debakel der deutsch-deutschen Währungseinheit keine stabile europäische Währung zu garantieren sei. Außer der allgemeinen Verwirrung über die Europa-Haltung der SPD, die bisher „Nachbesserungen“ der Maastrichter Verträge gefordert hatte, ohne indessen die Ratifizierung in Frage zu stellen, hatte Lafontaine vor allem die Befürchtung ausgelöst, die SPD in ein ähnliches taktische Debakel zu manövrieren, wie beim Steuerstreit. Die ernüchternde Erfahrung dieser Niederlage wirkte allerdings nach. Schon bevor das SPD-Präsidium und die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten zusammentrafen, ließ Engholm keinen Zweifel daran, daß „Nachbesserungen“ nicht „Junktim“ bedeuten. Maastricht sei, so Engholm in deutlich anderer Tonlage als sein Stellvertreter, „vermutlich der einzig richtige Weg“. Ganz kühl reagierte SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose auf die Frage, ob die SPD den Verträgen nicht zustimmen würde: „Das ist mir nicht bekannt.“ „Er hat dem Text voll zugestimmt“, so Engholm nach der Sitzung auf die bohrenden Fragen nach der Haltung des abwesenden Lafontaine. Der Parteivorsitzende ging milde mit seinem Stellvertreter um, eine stille Freude darüber, daß der meinungsfreudige Partei-Vize sich nicht durchsetzen konnte, war Engholm aber anzumerken. Wieczorek-Zeul, die ohne Namnesnennungen bereits letzte Woche öffentlich Lafontaines Vorstoß kritisiert hatte, verwies nicht ohne Süffisanz darauf, daß die Partei gerade „eine Debatte zur Disziplin“ gehabt habe, die schließlich für alle gelte. Proeuropäisches Einvernehmen also im SPD-Präsidium, Stoff zum Streit aber nach wie vor bei anderen Fragen. Damit wirklich niemand annimmt, die SPD sei zum Thema Asyl einer Meinung, hatte sich der sozialdemokratische Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter pünktlich zur Präsidiumssitzung mit seinen höchsteigenen Ansichten gemeldet. Im Gegensatz zur Bundes-SPD sprach er sich erneut dafür aus, daß das Grundgesetz geändert werden müsse. Denn sonst entwickle sich Deutschland zum „Zahlmeister in Europa“. Eine ganz andere Kritik brachte der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder gegen seine Partei vor. Beim Asylverfahrensgesetz habe die SPD „Gemeinsamkeit mit der CDU um fast jeden Preis“ gesucht und wolle jetzt einem Gesetz zustimmen, „das sie selbst für völlig unzureichend hält“. Daß Schröder sich über seine Parteiführung auf dem undiskretesten Weg, nämlich via 'Spiegel‘, beklagte, belegt die Brisanz des Themas: Die Meinungen in der SPD driften auseinander.