Detektivarbeit in Tomsk

■ Schätze aus Bremer Bibliotheken lagern noch immer in russischen Kellern

Kostbare Bestände deutscher Bibliotheken, bei Kriegsende von der Sowjetarmee erbeutet, verrotten in russischen Kellern und Kasematten. Allein 1.492 Kisten mit rund 100.000 Bänden aus bremischem Besitz stehen auf der Kriegsvermißten-Liste von Hans-Albrecht Koch, dem Direktor der Bremer Staatsbibliothek.

Bei den Büchern, die zunächst von amerikanischen Soldaten beschlagnahmt und später der russischen Militärverwaltung übergeben worden waren, handelt es sich um wertvolle Barockliteratur, Drucke, Gesamtausgaben, Theologica und juristische Literatur des 18. Jahrhunderts, um Stiche, Karten und Porträts.

Fast alle blieben bis heute verschollen. Vorläufige Endstation vieler heimatvertriebener Bände: Die sechste Etage des Bibliothekssilos in der Universität Tomsk, Sibirien. Die 1888 eröffnete Uni weiß mit ihren rund zwei- bis dreitausend Bänden aus Magdeburger, aber auch Bremer Eigentum, nichts anzufangen, heißt es im SPIEGEL vom Montag. Bemühungen um eine Rückführung seien bisher erfolglos geblieben. So wird Bibliotheksdirektor Syntin zitiert.

Das kleine Bundesland Bremen hat seit langem die kriminalistische Spürnase im Wind: Das Bestreben, die verlorenen Schätze wieder zurückzuführen, ist aber ein Stück auswärtige Politik — und sensibel eingebettet in den deutsch-sowjetischen Freundschaftsvertrag, meint Senatsrat Opper von der Kulturbehörde. Dieser Vertrag, der besagt, daß Kunstwerke wechselseitig ausgetauscht werden, werde sehr ernst genommen. Wenn es um das Thema Rückführung geht, sei Bremen aber im Reigen der Bundesländer bei den entscheidenden Gremien maßgeblich dabei.

Als Detektiv für das kleinste Bundesland wird Wolfgang Eichwede, Direktor der bremischen Uni-Forschungsstelle Osteuropa, heute nach Moskau und anschließend nach St.Petersburg reisen, wo ein weiterer größerer Bestand alter Werke vermutet wird. Gespräche sollen unter anderem mit dem seit etwa drei Wochen amtierenden russischen Kultusminister geführt werden.

Das vorläufige Endlager in Tomsk steht nur exemplarisch für das Schicksal vieler Beute-Bibliotheken, die tonnenweise nach Kriegsende als Kompensation für erlittende Schäden aus Deutschland abtransportiert wurden. Aber keiner hat für sie Verwendung im großen armen Rußland; hin und wieder machen Exemplare Bekanntschaft mit dem Reißwolf. Dennoch könnte die Rückführung Bremer Eigentumsschwierig werden: In Rußland ist mit steigendem Marktfieber momentan alles vom billigen Ausverkauf bedroht. Hans-Jörg Werth