Das muß erst mal richtig rauschen!

■ Waldemar Ott, Bildhauer, über seinen Neptunbrunnen, den Populismus und die bremische Bürgerschreckhaftigkeit

Hierhin bitte den

freundlichen Grauhaarigen

mit Schnauzbart

(Kopfportrait)

Waldemar OttoFoto: JO

taz: Es hat richtige Kampagnen gegen Ihren Brunnen gegeben, Volksbefragungen, mit dem massenhaften Ergebnis „Das ist doch nicht schön“. Die CDU hat jetzt eine Telefon-Umfrage durchgeführt, in der sie 2.006 BremerInnen befragt hat, und 90 Prozent waren gegen diesen Brunnen.

Waldemar Otto: Es ist ein Novum, daß ein Kunstwerk in den Parteienstreit gerät, das hatten wir seit der Nazizeit nicht mehr. Ich finde es fabelhaft, daß, obwohl der Brunnen noch nicht spritzt, schon 10,2 Prozent die Sache gut finden! Das hätte ich gar nicht zu hoffen gewagt! Sicher waren die Motive der CDU nicht die alleredelsten, sich die Mühe zu machen, 2.006 Telefongespräche zu führen, wie sie angeben. Aber ich

„Nichts lag mir ferner als den Bürgerschreck zu spielen“

bin sicher: Wenn der Brunnen ab 20. März, 11 Uhr, richtig zu beurteilen sein wird, wird sich dann — nach und nach — eine Mehrheit sogar finden. Für ein modernes Kunstwerk an einem prominenten Ort wäre das dann schon eine erstaunliche Akzeptanz.

Fühlen Sie sich auch ein bißchen geehrt durch diese Empörung?

Es macht mir zunehmend Vergnügen. Ich verstehe es nicht, nebenbei gesagt. Sicher wird das immer einen Stachel behalten, ein bißchen Ärgernis. Denn es ist schon ein bißchen frech, das hinten offen zu lassen. Vor allem, weil die Figuren ja vorne herum eine bildhauerisch gespannte Schönheit haben. Ich glaube aber, daß das doch akzeptiert wird. Der CDU-Protest kommt übrigens auch zu spät. Wie ich höre, haben sich die Marktleute inzwischen besonnen und sind entschlossen, es positiv zu sehen.

Sie haben nicht ein bißchen gern darauf hingewirkt, kleine Stachel unterzubringen?

Nichts lag mir ferner, als den Bürgerschreck zu spielen.

Wieso dieser Brunnen mit den Fischen und Nixen, dem flüchtigen Weissager, dem müden Nixen- Vater, dem unheimlichen Neptun, dem angestrengten Rossegespann - wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Es hat ja einen Wettbewerb gegeben und dabei ein Novum, das eigentlich basisdemokratisch ist: Die drei Entwürfe wurden in der Bürgerschaft 14 Tage ausgestellt, und alle Bremer waren aufgerufen, sich dazu zu äußern. Und, oh Wunder: 73 Prozent sprachen sich für meinen Entwurf aus. Das hat mir sehr Mut gegeben, an die Arbeit zu gehen. Es gab auch Leute, die so eine Volksabstimmung über ein Kunstwerk überhaupt nicht gut fanden...Jedenfalls war nun das Thema „Meer“ vorgegeben, wo doch Bremen seine historische Bedeutung der Seefahrt verdankt. Ich kam dann auf das beherrschende plastische Motiv an der historischen Renaissance-Fassade des Rathauses, da gibt es ja das berühmte Poseidon-, also Neptun-Relief; ich fand das sehr bremisch; das Relief ist schließlich seit 380 Jahren Hauptschmuck des Bremer Rathauses.

Die Figuren sind weder gehauen noch aus Ton geformt. Wie haben Sie sie technisch gemacht?

Ich habe da auf eine neue, für mich auch erst kürzlich entdeckte Möglichkeit zurückgegriffen: direkt aus Wachsplatten zu arbeiten, die sich unter Einwirkung von Wärme verformen. Dann wurde das Wachs ausgeschmolzen, Bronze in die Hohlräume gegossen — es sind also alles Unikate.

Auch die Pferdeköpfe waren mal Wachsplatten?

Fragen Sie mich nicht, wie ich es hingekriegt habe. Mit hundert Hilfskonstruktionen. Denn die Platten drohen zu kollabieren, sich zu verformen, man drückt den ganzen Tag in eine Richtung, und am nächsten Tag hat sich alles wieder verformt...

Die Schokoladenseite des Brunnens zeigt, in Fahrtrichtung, zum Marktplatz.

Er war geplant für den Grasmarkt und ist dann rübergewandert auf den Domshof und auch größer geworden, weil der Domshof nach

hierhin bitte die

Bronzefigur, die

seitlich von einer

Art Pfosten

überragt wird

Proteus, der Meeresgott, der weissagen kann, aber nicht will. Zwingt man ihn, flieht er in andere Gestalten. Hier dreht er sich in eine neue Schale.

dem Umbau zu ungegliedert, zu groß wirkte. Ja: Neptun mit seinem Gespann fährt auf den Wogen den Berg hoch zum Grasmarkt. Das ist übrigens der einzig möglich Ort. Wir haben mit einer Attrappe, 1:1, ausprobiert, wo er hinkommen könnte, und als wir diesen Platz gefunden hatten, stellte sich heraus, daß es technisch der einzig mögliche war, er paßt genau zwischen Bunker und Weinkeller im Untergrund; drunter sind ja riesige Apparaturen, eine Umwälzanlage für 260 Kubikmeter Wasser pro Stunde. Es wird kräftig rauschen!

Wo wird das Wasser sprudeln?

Ich habe ja keine Brunnen-Schale gemacht, sondern das Prinzip umgedreht; alles Wasser läuft aus dem Stein heraus, darüber hinweg. Es gibt kleine Fontänen und größere, in den Zwickeln des Steins, der den Wagen suggeriert. Brunnen können erst beurteilt werden, wenn das Wasser sprudelt! Das muß rauschen, das muß ein sprudelndes Ereignis sein: Triton, Neptuns Sohn, auf der krummen Muschel blasend, schwimmt im Meer, der Seehund streckt gerade seinen Kopf aus dem Wasser...

...im Moment wirkt er mehr wie ein toter Fisch auf dem Trockenen...

Natürlich! Das Wasser ist nötig zur Illusionsbildung. Auch das

Platz mit

Brunnen

Halt, der gilt noch nicht! Kommen Sie am 20. März um 11 Uhr auf den Domshof, und es wird unglaublich losgehen: Wasserfontänen schießen hoch, machen aus dem grünen italienischen Granit Neptuns Schiff. Dann schnauben die Pferde, und Neptun, auch Poseidon genannt, der unheimliche Gott des Meeres, reitet sein Rossegespann über die Wasser. Mit dem Dreizack glättet er die Wogen — oder wühlt sie auf. Zwei Neriden begleiten an den Seiten wie Nixen den Zug, klammern sich an, wollen mit, schwingen sich empor. Neptuns Sohn taucht vorn aus den Fluten auf und bläst die Fanfare. Die Pferde verzerren vor Anstrengung schon die Mäuler. Rechts am Rand sitzt der gram- und altersgebeugte Vater der Nixen, Nereus. Am Heck: der Meeresgott Proteus, der weissagen kann, aber nicht will und sich in immer neue Gestalten flüchtet. Die taz sprach mit dem Bildhauer Waldemar Otto, der den umstrittenen Brunnen gestaltet hat.

Rossegespann: wenn es rauscht, stellt sich die Illusion des Dahinjagens über die Wogen ein.

Illusion, auf spanisch 'Freude', ist ein schönes Stichwort. Welche soll denn da entstehen?

Kunst ist Illusion! Dargestellt ist ja ein altes Märchen, eine Mythe. Und das wollte ich auch zeigen. Deshalb sind die Figuren eben auch als Schale angelegt: man soll sehen, daß es die Darstellung einer Illusion ist. Ich zeige dazu die künstlerischen Mittel: die gespannte, gewölbte Oberfläche, die Glätte der äußersten Anspannung.

Man hat mir Populismus vorgeworfen. Ich glaube, es ist keine schlechte Idee, einen Brunnen so zu machen, daß man Freude daran haben kann. Das halte ich nicht für ehrenrührig und für durchaus verträglich mit dem Anspruch von Kunst. Die Pferde werden abwechselnd und unregelmäßig Wasser schnauben. Es soll auch spielerisch sein!

Sie haben ja eine Hierarchie gestaltet mit der Größe und der Aktivität der Figuren. Neptun ist klar

hierhin bitte

die Figur, die man von

hinten sieht

(Hohl, mit Streben)

Der Unheimliche, vorn glatt, von hinten ein Gerüst. Waldemar Otto: „Man soll sehen, daß es die Darstellung einer Illusion ist.“

der Held, dann gibt es die Figuren am Rand und am Heck, Neptuns Sohn, zwar klein, aber sehr bewegt...

... dafür trompetet er aber! Und schließlich die beiden Nixen aus Neptuns Gefolge, dann am Rande sitzend der alters- und gramgebeugte Nereus...

Warum grämt er sich eigentlich so?

Weil er 50 Töchter hat, 50 Nixen, (lacht) von denen ich nur zwei gemacht habe! Und hinten eine inhaltlich interessante Figur: Proteus, das ist der Meeresgott, der weissagen kann, es aber nicht will. Zwingt man ihn, dann flieht er in andere Gestalten, um dem zu entgehen. Und hier schickt er sich gerade an, sich in eine neue Schale hineinzudrehen. Auf dieses Motiv bin ich durch die Platten-Technik gekommen: Einer, der weiß, aber nichts sagt, und lieber flieht. Eine der menschlichen Möglichkeiten.

Die Nixen sehen so hingeworfen aus, traurig, die klammern sich an...

Nixen sind in ihrer Zwitterhaftigkeit immer traurig gewesen, glaube ich. Die eine, die dicke, lümmelt sich aber. Sie hat auch was Heimtückisches, sie guckt mit ihren kleinen bösen Augen scharf in die Gegend. Die andere schwingt sich hoch aus dem Graben, die will unbedingt mit, mit dem Trara des Zugs.

hierhin bitte die

trompeteblasende Figur

Triton, Neptuns Sohn, taucht aus den Fluten auf, bläst auf der Muschel das Trara zum Zug. Der Seehund reckt seinen Kopf aus dem Wasser...

Die Gesichter besonders der Hauptfiguren sind ja sehr abstrakt, sehr verrätselt, unheimlich. Man weiß nicht: Ist Neptun ein guter, ein böser? Im Märchen muß man doch wissen, mit wem man es zu tun hat.

Er hat etwas Numinoses, wie es einer Gottheit zukommt. Es gibt große Unterschiede im Abstraktionsgrad. Die Pferde sind ganz realistisch: Pferde kenne ich, aber Neptun ist mir noch nicht vorgestellt worden.

Sie hätten die Freiheit gehabt, ihm ein Gesicht zu geben.

Das würde ich für unangemessen halten. Nein. Die Mythe schildert ihn ja als unberechenbar: der Gott des Meeres, der mit seinem Dreizack die Wogen aufwühlt oder glättet, das hat etwas Willkürliches, Maskenhaftes. All das, auch der Respekt vor einer so uralten Mythe, ließ mich diese Figur sehr abstrakt machen.

Die Pferde sind sehr angestrengt, erschöpft...

Sie rasen ja. Haben Sie mal Pferde gesehen, die Galopp geritten sind? Die reißen ihre Mäuler schrecklich auf. Ich würde sagen,

„Sicher waren die Motive der CDU, 2.006 Leute anzurufen, nicht die edelsten. Nun sind 90 Prozent gegen den Brunnen, heißt es. Aber ich finde es fabelhaft, daß schon 10 Prozent dafür sind, obwohl der Brunnen noch gar nicht rauscht. Das hätte ich gar nicht zu hoffen gewagt“

daß die Proteus-Figur am Heck die künstlerisch gelungenste ist. Sie hat etwas Geheimnisvolles; durch das Spiel von sehr gehaltenen Bewegungs- und Drehungs- Momenten ist etwas Geheimnisvolles, Gespanntes hineingekommen, durch das Spiel der Wölbungen, der Drehungen, der Verformungen der Querschnitte.

Man sagt, daß Kulturreferent Manske öffentlich darüber nachgedacht hat, ob man nicht an diesen „offenen Rücken“ etwas ändern könnte...

Ich habe mich erkundigt. Er sagt, er sei falsch zitiert worden. Von mir hat niemand so etwas verlangt, das kam auch nie in Betracht.

Man muß sehr viel wissen, um den Brunnen überhaupt zu verstehen!

Es gibt eine Tafel, auf der steht ganz knapp, was da zu sehen ist. Das muß sein! Sonst ist es nicht entzifferbar. Rotkäppchen mit dem Wolf, das kennt man, weil es jedes Kind erzählt bekommt.

Es bleibt schwierig.

Neptun mit seinem Dreizack kennt man. Und im Lexikon nachschlagen, da tun die Leute schon. Ich mußte mich da auch erst hineinlesen.

Fragen: Susanne Paas

Alle Fotos (außer links oben): Tristan Vankann

Große Einweihung: 20. März, 11 Uhr, Domshof