Angst vor der Rückkehr

■ Rund 3.000 ehemalige vietnamesische DDR-Vertragsarbeiter leben noch in Berlin/ Viele haben Angst vor der drohenden Abschiebung

Berlin. Der Gedanke an den kommenden April macht Le Khan Angst. Im nächsten Monat wird ihre Aufenthaltserlaubnis für Deutschland abgelaufen sein. »Ich möchte nicht zurück nach Vietnam«, sagt die 40jährige Vietnamesin, »die Politik dort ist nicht in Ordnung.« Vor fünf Jahren kam sie als Vertragsarbeiterin von Vietnam in die DDR, um dort in der Verwaltung eines kleinen Ostberliner Betriebes zu arbeiten. Kurz nach der Wende machte der Betrieb dicht, seitdem ist Le Khan arbeitslos. »Ich liebe Deutschland, die Kultur gefällt mir«, sagt sie, sie wolle in jedem Fall hierbleiben und arbeiten. Nachdem sie vier Jahre in einem Wohnheim für Vertragsarbeiter gelebt hatte, wohnt sie jetzt in einer kleinen Sozialwohnung in Ost-Berlin. Am liebsten wäre es ihr, wenn ihre Tochter, die derzeit noch in Vietnam arbeitet, nachkommen könnte.

Wie Le Khan leben in Berlin derzeit laut Schätzungen etwa 3.000 ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter der ehemaligen DDR, in den neuen Bundesländern sind es etwa weitere 7.000. Mehr als zwei Drittel davon sind arbeitslos, bei den meisten läuft die fünfjährige Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung demnächst aus. Das bedeutet für sie Zwangsrückkehr in das sozialistische Vietnam. So sieht es auch der Einigungsvertrag vor, die Bundesrepublik gewährt den ehemaligen Vertragsarbeitnehmern keine weitere Aufenthaltszeit.

Seit 1981 importierte die DDR etwa 90.000 Vertragsarbeitnehmer aus sozialistischen Ländern, um sie als einfache Arbeiter einzusetzen. Zwei Drittel davon stammten aus Vietnam. Die Arbeiter mußten in einem sogenannten Rotationsverfahren nach fünf Jahren zurückkehren, so sah es der Vertrag zwischen den Staaten vor. In der DDR lebten die Vertragsarbeitnehmer unter skandalösen Bedingungen: Sie wurden in Wohnheimen ghettoisiert, in denen jeder im Schnitt fünf Quadratmeter zur Verfügung hatte. Ehepartner und Kinder mußten in den Heimatländern bleiben. Dadurch gingen viele Ehen zu Bruch. Wurden unter Vertrag stehende Frauen schwanger, durften sie das Kind in der DDR nicht austragen, sondern mußten abtreiben oder ausreisen.

Für Le Khan gibt es jetzt eine kleine Hoffnung: Wie rund 150 weitere Vietnamesen war sie gestern abend im Haus der Demokratie bei der Gründung der »Vereinigung der Vietnamesen« dabei. »Vielleicht können wir mit dem Verein etwas erreichen« flüstert sie, während auf dem Podium der neue Vorsitzende eine Begrüßungsrede hält. Der Verein will sich für das Bleiberecht der ehemaligen Vertragsarbeitnehmer einsetzen und erreichen, daß sie vom Status her wie die Gastarbeiter der alten Bundesländer behandelt werden. Für Tamara Hentschel, die in Ost- Berlin Vietnamesen berät, ist die Vereinsgründung ein wichtiger Schritt: »Bisher wurde immer nur über die Vietnamesen gesprochen, jetzt werden sie hoffentlich mehr selbst in die Öffentlichkeit treten.« Sie weist darauf hin, daß viele der Vietnamesen auch wegen der desolaten politischen Lage nicht zurückkehren möchten.

Nguyenquoc Hungs Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland wird im Dezember auslaufen. Auch er will nicht zurück: »Ich habe Angst davor, mich dort wieder neu einzugewöhnen.« In Vietnam seien schon Millionen arbeitslos, »wenn wir alle zurückkommen, sind wir auch arbeitslos«. Der 36jährige hat keine Familie in Vietnam, »zu meinen Eltern habe ich durch die lange Trennung kaum mehr Kontakt«, alle seine Freunde seien hier in Berlin. Corinna Emundts