Das verödete Eingangstor

■ Früher war der Antonplatz der repräsentative Eingang von Weissensee/ Grau und karg gleicht er heute einer verkehrstechnischen Katastrophe/ Nur noch das Kino »Toni« erinnert an große Zeiten

Weißensee. Für den Antonplatz hatten sich die Bauherren in der Gründerzeit viel vorgenommen. Ein Eingangstor sollte er sein, dem Besucher aus der damaligen Reichshauptstadt Berlin einen ersten Eindruck vermitteln von der Eleganz und dem städtischen Flair, die ihn in der märkischen Gemeinde Weißensee erwarten sollten. Für eine Zeitlang hatte der Antonplatz den hohen Ansprüchen der Stadtväter genügen können, heute stehen die Stadtplaner des Bezirkes wieder vor der Frage, was aus dem Platz im Süden Weißensees werden soll. Aus dem einstigen Prachtportal ist eine verödete Straßenkreuzung geworden, an der man in Weißensee nicht vorbeikommt, zu der es aber auch niemanden hinzieht.

Der Hamburger Großkaufmann Gustav Adolf Schön erwarb im Jahre 1871 große Teile des früheren Rittergutes und begann seine umfangreichen Bauvorhaben. Die ersten Wohnungen entstanden um den Platz herum, an dem die damalige Königschaussee und die Langhansstraße in die Berliner Allee mündeten, der Hauptstraße der Gemeinde. Sie waren ebenso modern wie elegant und erhielten bald den Namen »Französisches Viertel«, dem heutigen Komponistenviertel. Andere Bauunternehmer beteiligten sich nach und nach am architektonischen Aufbau Weißensees. Die Straßenmündung, die das südliche Stadtbild dominierte, gewann zunehmend an städtebaulicher Bedeutung. Der Bauherr Gustav Schön nahm ihre Bebauung in Angriff und verlieh ihr den Namen seines Bruders Anton.

Um die Jahrhundertwende wurde inmitten der Parkanlage des Platzes Kaiser Wilhelm ein Denkmal errichtet. Der Platz erhielt kurzzeitig auch seinen Namen, schließlich wollte die Gemeinde Weißensee endlich das Stadtrecht erhalten. Mit immer repräsentativeren Bauten versuchte man, dem Platz ein auch in der großen Nachbarstadt bekanntes Renommee zu verschaffen. Das noble Hotel »Berliner Hof« wurde am Platz errichtet, und das legendäre Kino »Toni« feierte im Jahr 1920 als eines der ersten Tonfilmtheater Premiere. Im selben Jahr wurde Weißensee Ortsteil von Berlin — und der Antonplatz begann zu veröden. Unaufhaltsam entwickelte er sich zu dem, als was er in der Reiseliteratur bezeichnet wird: eine verkehrstechnische Katastrophe.

Häuserblöcke um den Platz herum wurden abgerissen, aber nicht wieder aufgebaut. Die Flächen sind heute noch unbebaut. Der frühere Bauwillen war verlorengegangen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die übrigen Bauten um den Platz herum zerstört. Lediglich das Kino blieb erhalten und kann noch heute etwas von dem städtebaulichen Wunschdenken vermitteln, das die Weißenseer Bauherren einst beflügelte.

Nach dem Ende des Krieges wurden die Trümmer des Platzes ohne Geld und Konzeption verwertet, es reichte gerade mal für einen Flachbau, in den eine Sparkasse einquartiert wurde, und für einen Parkplatz. Die Berliner Allee wurde erweitert und nach dem ersten sozialistischen Ministerpräsidenten der Tschechoslowakei in Klement-Gottwald-Allee umbenannt. Die Grundstücke um den Platz herum blieben unbebaut. Gäbe es nicht das geschichtsträchtige Kino »Toni«, wäre sein Bild ausschließlich von leeren Flächen und den Schornsteinen umliegender Fabrikgebäude gekennzeichnet.

Heute stellt der Antonplatz immer noch das Eingangstor zu Weißensee dar. An ihm beginnt die wieder in »Berliner Allee« umbenannte Magistrale, der »Weißenseer Broadway«; die verschiedenen Straßenbahnlinien aus der Innenstadt treffen dort aneinander; er ist der verkehrstechnische Mittelpunkt des Bezirks; vom Antonplatz aus erreicht man über die Herbert-Baum-Straße den Jüdischen Friedhof von Weißensee. Er ist immer noch mit Abstand der belebteste Platz in Weißensee, doch seine frühere Repräsentanz hat er verloren. Fragen nach dem Antonplatz werden von den meisten mit einem Achselzucken beantwortet. »Hier ist viel Verkehr, für das Geschäft ist der Platz gut«, meint der Verkäufer der Gyros-Bude, »aber das ist bestimmt kein Reiz für andere.« Wo sich früher die Grünanlage mit dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal befand, bildet heute eine Parkplatzschleife einen Taxistand. Auf der Mitte des Platzes steht ein Wartehäuschen, das den Eindruck erweckt, man hätte vergessen, es abzureißen. Zwei Imbißstände werben mit Döner, Gyros und niedrigen Preisen um die Gunst der Käufer. Um sie herum bilden sich von früh bis spät größere Trauben von den Einkaufenden aus der Berliner Allee, die sich für einen Moment vom Shopping-Streß in der Berliner Allee ausruhen. Ein Gemüsehändler hellt mit seinem Stand den grauen Platz farblich etwas auf. Noch ist er der einzige Standverkäufer, doch im Sommer werden auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, auf der gegenüberliegenden Hälfte des Platzes, auch zahlreiche Händler aus Brandenburg ihre Ware anbieten.

Diese Seite könnte dem Platz die Ruhe geben, die er braucht. Um eine spiralförmige Brunnensäule (in vulgo: »Nudel«) reihen sich Blumenbeete, Pergolen und Parkbankreihen. Die Fassaden des dahinterliegenden Klubhauses, das mittlerweile geschlossen wurde, sind mit chilenischer Mauermalerei verziert. Doch auch dieser Farbtupfer vermag das Grau dieses Platzes nicht zu übertünchen.

»Lange kann man sich hier nicht aufhalten«, klagt eine Frau, »es herrscht viel zuviel Verkehr.« Nur um einmal die Einkaufstüten kurz abzusetzen, hat sie sich auf die Bank gesetzt. »Im Sommer, wenn der Springbrunnen angestellt ist, ist der Platz nicht ganz so karg und öde«, fügt ihr Mann hinzu, »aber freiwillig würde ich mich hier nicht aufhalten.«

Der Bezirk Weißensee hat inzwischen zwei Architektenbüros damit beauftragt, ein städtebauliches Konzept für den Platz zu entwerfen. Das Stadtplanungsbüro von Weißensee hält den Platz in seiner jetzigen Form für unhaltbar: »Man kann ihn einfach nur als Sanierungsgebiet betrachten.« Thekla Dannenberg