Assad sucht Weg in die „Demokratur“

Die regierende syrische Baath-Partei gerät politisch und wirtschaftlich immer mehr unter Druck/ Der Staatspräsident denkt offenbar an begrenzte Reformen/ Damaszener Gerüchteküche in Bewegung  ■ Aus Damaskus Kurt Lorenz

Unmittelbar vor dem offiziellen Beginn der neuen Amtsperiode von Staatspräsident Hafis Al-Assad verdichten sich in Syrien seit längerem umlaufende Gerüchte über bevorstehende politische Reformen. Assad hatte in den „Wahlen“ im Dezember die absolute Gesamtheit der Stimmen nur knapp verfehlt. Die Auszählung der Stimmzettel ergab die üblichen 99,98 Prozent für den syrischen Diktator. Am 15. März wird der Wahlsieger vor dem syrischen Parlament seine bereits traditionelle Antrittsrede für die nächste siebenjährige Amtsperiode halten. In der Damaszener Gerüchteküche kursiert die Vermutung, daß die Regierung unter Ministerpräsident Mahmud As- Su'bi zwei Tage vorher zurücktreten wird. In der neuen Regierung, als deren Ministerpräsident der bisherige Armeechef Hikmat Schahabi gehandelt wird, soll diesmal angeblich nur der kleinere Teil der Ressorts an Mitglieder der machthabenden Baath- Partei vergeben werden, die das Sagen im Land hat.

Außerdem sollen neue Parteien in die „Nationale Progressive Front“ aufgenommen werden, die bislang von der Baath-Partei dominiert wird. Über die Einheitsliste der „Front“ werden — ähnlich wie früher in der DDR — die Parlamentsabgeordneten „gewählt“. In der libanesischen Zeitung 'Al-Hayat‘ dementierte die Regierung in Damaskus unterdessen jegliche Rücktrittsabsicht.

Zur Zeit werden in der arabischen Auslandspresse „Kreise aus der unmittelbaren Umgebung des Präsidentenpalastes“ zitiert, die behaupten, daß außerdem eine weitere Amnestie syrischer politischer Gefangener bevorstehe. Auch einige neue Zeitungen sollen angeblich zugelassen werden. Zudem sei eine weitere wirtschaftliche Liberalisierung geplant, die sogar die Eröffnung einer Börse noch in diesem Jahr möglich erscheinen läßt. Da viele dieser Zeitungen in Syrien verboten sind, kursieren zur Zeit Kopien entsprechender Zeitungsartikel.

Die Debatten über diese Themen werden hinter vorgehaltener Hand geführt. „Öffentlichkeit“ besteht in Syrien nach wie vor aus leise geführten Privatgesprächen an vermeintlich sicheren Orten. Die Angst geht um wie ehedem. In dem Land, in dem noch nicht einmal die genaue Zahl der Geheimdienste bekannt ist, weist nichts auf eine Demokratisierung hin. Vielmehr wird die Regierung versuchen, ihre Machtbasis durch eine Flexibilisierung ihrer Politik zu stabilisieren und so für die Zeit nach dem Ableben des 62jährigen Assad vorzubauen.

Schahabi als möglicher Ministerpräsident in spe wäre dafür eine Idealbesetzung. Assad betrachtet ihn als absolut loyal. Als Armeechef verfügt Schahabi zudem über eine außerordentlich wichtige Hausmacht. Außerdem gilt er als Befürworter der vor einem Jahr begonnenen Wirtschaftsreform. Diese Eigenschaften qualifizieren ihn für das Amt des Ministerpräsidenten. In dieser Funktion hätte er vor allem den syrischen „Filz“ zu vertreten, die miteinander verflochtene politische, wirtschaftliche und militärische Elite. Schahabi gilt als Garant für den Machterhalt dieser Clique in der Ära nach Assad, dem „Führer in alle Ewigkeit“.

Schahabi gilt außerdem als „US- freundlich“. Er wäre der geeignete Regierungschef, falls in absehbarer Zeit doch Bewegung in die Nahostverhandlungen mit Israel kommen sollte — beispielsweise durch einen Wahlsieg der israelischen Arbeiterpartei. Dies könnte bedeuten, daß es nicht schon jetzt, sondern erst in einigen Monaten zu einer Regierungsumbildung kommt. Innenpolitische „Reformen“ können Syriens Position in den Nahostverhandlungen aber in jedem Fall nur verbessern. Israel brachte die diktatorische Verfaßtheit des Nachbarstaates wiederholt ins Spiel. Mit einer auf zwei Fünfteln der Gesellschaft aufbauenden „Demokratur“, nach außen als halbwegs demokratisch verkauft, ließen sich solche Vorwürfe entkräften.

Was die Gerüchte in Syrien besonders glaubwürdig macht, ist die Tatsache, daß nur über sehr eingeschränkte Veränderungen gemunkelt wird. Niemand spekuliert über radikale Reformen. In den heimlichen Gesprächen will daher auch keine rechte Euphorie aufkommen. 30 Jahre Repression und die tägliche Berieselung mit Propaganda haben den meisten Syrern das Interesse an Politik gründlich ausgetrieben. Dieser erzwungene Rückzug ins Private wurde auch durch die wirtschaftliche Liberalisierung gefördert. Weil die Gehälter in staatlichen Betrieben mittlerweile auf das Niveau von Taschengeldern gefallen sind, versuchen viele Syrer jetzt als Kleinstunternehmer ihr Glück. Vom Staat verlangen sie nichts weiter, als mit ihrem bescheidenen Wohlstand in Ruhe gelassen zu werden. Der Rest der Bevölkerung ist mit dem täglichen Kampf ums Überleben vollauf beschäftigt.

Durch diese Entwicklung steigen die sozialen Spannungen im Land. Und die außerordentlich zahlreichen „kleinen“ Mitarbeiter der Geheimdienste, die all dies natürlich auch zu spüren bekommen, entdecken neuerdings ihre Sympathien für islamistische Gruppen. Das erfüllt die regierenden Baathisten mit großem Unbehagen, denn auf die Loyalität der Geheimdienste sind sie angewiesen. Wohl auch, um solchen Bestrebungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, erwägt Assad die dosierte „Reform“. Ein syrischer Intellektueller der jüngeren Generation beschreibt die Lage so: „Der Druck ist mittlerweile so hoch, daß die Führung jetzt vorsichtig versucht, etwas Dampf abzulassen.“