Zukunft Bosniens wird verhandelt

Bei den Brüsseler Gesprächen zwischen den bosnischen Volksgruppen wird prinzipielles Einverständnis über die Weiterexistenz eines bosnischen Staats erreicht/ Serben fordern autonome Gemeinwesen  ■ Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) — Bei den Brüsseler Gesprächen über die Zukunft der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien- Herzegowina ist am Montag abend ein Durchbruch für substantielle Verhandlungen gelungen. Mit zur Entspannung beigetragen hat auch die Haltung der USA, die offenbar einen Kurswechsel in der Jugoslawienpolitik vollziehen.

Unter der Schirmherrschaft der EG wurde am Montagabend in Brüssel eine Formel gefunden, die zur Grundlage für weitere Verhandlungen zwischen den Kroaten, Muslimanen und Serben in Bosnien-Herzegowina werden könnte. Sie beinhaltet zunächst prinzipiell die Akzeptierung der Existenz eines unabhängigen bosnischen Staates. Damit wird dem Ergebnis der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit, für die sich vor kurzem mehr als 60 Prozent der Wahlbürger des Vielvölkerstaates ausgesprochen haben, Rechnung getragen. Andererseits läßt sie Spielraum für die „konstituierenden Einheiten“, die den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen angepaßt sein sollen. Im Klartext: Kroaten, Muslimanen und Serben bilden in ihren Mehrheitsgebieten staatliche Formationen, die in der Form einer Konföderation zu einem Staat Bosnien-Herzegowina zusammengeschlossen sind. Ein Zwei-Kammer- System soll den Interessen aller Rechnung tragen. Eine „Bürgerkammer“ soll als normales Parlament fungieren, die andere Kammer soll aus Vertretern der „konstituierenden Einheiten“ bestehen, und zwar so, daß gegen den Willen einer Einheit nicht regiert werden kann.

Die schwierigste Klippe bei den Verhandlungen ist nach wie vor, der serbischen Seite die Zustimmung zu einem bosnischen Staat in den bisherigen Grenzen abzuverlangen. Allerdings hatte der serbische Führer Karadzic schon vor Wochen Kompromißbereitschaft in dieser Frage signalisiert, war aber in den eigenen Reihen dafür scharf kritisiert worden, denn nach wie vor fordern viele Serben der Region den Anschluß serbischer Gebiete an Serbien. Doch angesichts der Tatsache, daß die Teilung des Staates für die größte Nation, die Muslimanen, nicht hinnehmbar wäre und zwangsläufig in einen Bürgerkrieg führen würde, ist auf der serbischen Seite die Bereitschaft gewachsen, einer Kompromißlösung zuzustimmen. Allerdings erklärte Karadzic am Dienstag, daß er die Vorlage von Brüssel noch nicht unterzeichnen könne. Der bisher diskutierte nationale Schlüssel für die Gründung autonomer Gemeinwesen weiche von den „Vorstellungen des serbischen Volkes“ zu weit ab. Beruhigend wirkt aber, daß der serbische Außenminister Jovanovic zu verstehen gab, die serbische Regierung stelle sich nicht gegen den Brüsseler Vorschlag.

In der Tat ist die Frage des „nationalen Schlüssels“ in den weiteren Verhandlungen die entscheidende. In Bosnien-Herzegowina gibt es nur wenige Regionen, in denen eine der drei Nationen über eine eindeutige Mehrheit verfügt. In vielen Gebieten sind sogar nur relative Mehrheiten auszumachen. Da bei allen Gruppen die Tendenz besteht, ihre Gebiete möglichst auszudehnen — die Serben fordern zum Beispiel bei 31 Prozent der Bevölkerung über die Hälfte des Territoriums —, ist für Zündstoff weiterhin gesorgt. Immerhin wird die Forderung, durch Bevölkerungsaustausch ethnisch völlig „reine“ Gebiete zu schaffen, nur noch von den jeweiligen Extremisten laut vorgetragen. Dennoch ist die Position des bisherigen Präsidenten Izetbegovic verständlich, wenn er sagt, den Muslimanen falle es schwer, die Schaffung von Regionen nach einem nationalen Schlüssel hinzunehmen. Denn bei so einer Konstruktion ist die Gefahr von Zwangsvertreibungen nicht gebannt. Hinzu kommt, daß mit der Schaffung unabhängiger staatlicher Gebilde im Rahmen der Konföderation die Optionen für eine Aufspaltung des Staates weiter erhalten bleiben. So muß Izetbegovic auf bestimmte Hoheitsrechte des Gesamtstaates Bosnien bestehen, was wiederum die Kritik der Serben herausfordert. Die Verhandlungen über diese Fragen sollen in Sarajewo nächste Woche beginnen.

Zumindest erleichtert werden die EG-Initiativen durch einen Kurswechsel in der Jugoslawienpolitik der USA. Außenminister Baker signalisierte vor dem Nato-Treffen gestern in Brüssel die Bereitschaft der USA, die Unabhängigkeit der jugoslawischen Republiken anzuerkennen. Noch vor kurzem drängten die USA auf den Fortbestand eines Klein-Jugoslawiens und verweigerten sogar die diplomatische Anerkennung für Kroatien und Slowenien. US-Diplomaten sprechen jetzt von einer „veränderten Situation“ angesichts der Volksabstimmung in Bosnien und schließen auch die Anerkennung Mazedoniens nicht aus. Diese wird nach wie vor von Griechenland blockiert, da die Bezeichnung Mazedonien Gebietsansprüche auf Nordgriechenland beinhalte.