Hinter jedem 14jährigen ein Polizist?

Durch den Volkssport Raubkopieren büßt die Softwarebranche Milliarden ein/ Schärfere Gesetze  ■ Von Frank Holzkamp

Die Bundesrepublik bleibt auch nach dem Medaillenregen von Albertville rekordverdächtig — zumindest was das unerlaubte Kopieren von Computerprogrammen betrifft. Gold gar will die Business Software Alliance (BSA), ein Zusammenschluß von US-amerikanischen Softwareproduzenten, nach Deutschland vergeben: Geschätzte drei Milliarden Mark betrage der Schaden durch Raubkopien jährlich. „Ein Stopp des Piratentums in Deutschland ist die wichtigste handelspolitische Maßnahme für die US-Softwarebranche“, sagt BSA- Direktor Robert Holeyman. Sollte keine Besserung eintreten, sollten handelspolitische Vergeltungsmaßnahmen erwogen werden.

Eindrucksvoll ist ebenfalls die Bilanz des bundesdeutschen Verbandes der Softwareindustrie (VSI). Demnach kamen 1989 auf 1,3 Millionen neu installierte PCs gerade mal 650.000 verkaufte Softwareprodukte: ein halbes Programm pro Rechner, das Betriebssystem nicht mitgerechnet. Neben der organisierten Softwaremafia — manche Fälschungen sind, inklusive Handbücher, vom Original kaum zu unterscheiden — wird als Schadensursache die massenhafte Programmvervielfältigung in Nachbarschaftshilfe beklagt.

Große Hoffnungen setzt man beim VSI jetzt in die neue EG-Richtlinie zum Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen, die bis zum Jahresende in nationales Recht umgesetzt sein muß. Ein entsprechender Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium wird noch in diesem Monat erwartet.

Der Einsatz von illegalen Programmkopien ist zwar auch nach der jetzigen Gesetzeslage strafbar, bei der Durchsetzung ihrer Forderungen vor Gericht haben die Softwarehersteller bislang aber das Problem, die tatsächliche Urheberschaft am Programmcode belegen zu müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wird dabei der Nachweis einer „überdurchschnittlichen“ Programmierleistung erwartet. Dafür aber müßte der normalerweise geschützte Quellcode des Programms den Sachverständigen offengelegt werden; ein Verfahren, das nach Einschätzung des MS- DOS-Herstellers Microsoft „mehr Schaden als Nutzen“ bringt, schließlich sind die Quellcodes aus guten Gründen absolutes Geschäftsgeheimnis.

Nach der EG-Richtlinie soll dieser Nachweis entfallen, und auch „durchschnittliche“ Programme kämen in den Genuß des urheberrechtlichen Schutzes. Bei Verstoß drohen Geldstrafe oder Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren; für die „gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung“ sind bis zu fünf Jahre fällig.

Daß ein so großer Anteil der Anwender lieber zu Raubkopien als zu Originalprogrammen greift, hat auch mit der Preis- und Vermarktungspolitik der Branche zu tun. Während die PC-Preise weiter nach unten purzeln, sind Standardprogramme in den letzten Jahren nicht billiger geworden. Bevor der Kunde einige hundert bis tausend Mark auf den Tisch legt, will er das Produkt natürlich ausgiebig testen.

Eine solche Testphase sieht die Vermarktungsstrategie der großen Softwarehäuser jedoch nicht vor. Miserable Handbücher, fehlerhafte Programme und mangelnde Unterstützung durch die Hersteller auch bei „Qualitätssoftware“ tun ein übriges dazu, daß den Großen der Branche von Kritikern eine „Absahner- Mentalität“ unterstellt wird.

Trotz des Wehklagens weiß man bei den Softwarefirmen natürlich, daß der enorme PC-Boom, an dem man kräftig mitverdient, ohne frei kopierbare Programme wohl kaum zustande gekommen wäre. Und nicht wenige Anwender entschließen sich nach einer Testphase mit illegalen Duplikaten zum Kauf „ihres“ Programms — die ungeliebten Raubkopien sind also wichtige Werbeträger. Auf diesen Effekt setzt man schon seit Jahren in der „Shareware“- Szene. Shareware darf grundsätzlich frei kopiert werden, gefällt das Programm, wird freiwillig eine — geringe — Lizenzgebühr an die Autoren überwiesen.

Daß dem Raubkopieren als Volkssport mit Strafandrohung kaum beizukommen ist, weiß man auch im Bundesjustizministerium. „Ins Auge genommen ist vor allem der Bereich der Wirtschaft“, so Ministerialrat Kurt Kemper, „man kann nicht hinter jeden 14jährigen mit seinem Computer einen Kriminalbeamten stellen.“ Beim VSI setzt man auch auf „Aufklärung und Einsicht in die neue Gesetzeslage“. Das rührende Motto der Kampagne, die zur Computermesse CeBit '92 startet: „Wer kopiert, verliert.“