Europas Energiemarkt vor Hindernissen

Verhandlungen über gemeinsamen Energiemarkt sind ins Stocken geraten/ Nur im Osten soll der freie Handel Wirklichkeit werden/ Westeuropäische Energieriesen lieben den freien Markt nicht  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Timmendorfer Strand (taz) — Der gesamteuropäische Energiemarkt, der im Dezember mit der Unterzeichnung der „Europäischen Energiecharta“ auf den Weg gebracht werden sollte, stößt offensichtlich auf erhebliche Widerstände. Clive Jones, stellvertretender Generaldirektor der Kommission, die aus der unverbindlichen Charta einen rechtlich bindenden Vertrag machen soll, berichtete gestern auf einem REW- Workshop, daß nur noch zwei der 12 GUS-Republiken, nämlich Rußland und die Ukraine, an der letzten Verhandlungsrunde teilgenommen hätten. Auch von den baltischen Staaten sitze derzeit nur noch Lettland mit am Tisch. Mit der Energiecharta sollte die Einführung von Marktstrukturen in der Energiepolitik Osteuropas festgeschrieben und so private Gelder für eine Ausbeutung der immensen Energiereserven der GUS-Staaten in den Osten gelockt werden. Am Rande der Konferenz verkündeten das RWE und das russische Ministerium für Energie und Brennstoffe eine künftige enge Zusammenarbeit. Das ist der erste Vertrag zwischen einem westlichen Energieriesen und Rußland.

Eigentlich soll schon im Juni dieses Jahres ein bindender Vertrag vorliegen. Doch wurde von den Experten beklagt, es gebe eine Reihe von Mißverständnissen, die die Verhandlungen erschweren. Die Energiecharta und das geplante Abkommen „sind kein Hilfsprogramm“. Im Grunde sei mit dem Vertrag eine rechtlich verbindliche Liste von Dingen geplant, „die Regierungen dann nicht mehr tun dürfen“.

Gleichzeitig wollen sich die westlichen Staaten aber ihre Marktreglementierungen erhalten. Heute schon bestehende Gesetze sollen lediglich periodisch auf ihre Notwendigkeit überprüft werden, so Jones. Kein Wunder, daß Osteuropäer darauf hinweisen, wie wenig Markt in der Energiepolitik beispielsweise vieler EG-Staaten herrscht. Der Beweis folgte sozusagen auf dem Fuße. Claus-Dieter Ehlermann, Generaldirektor der EG-Wettbewerbskommission, gibt der Energiewirtschaft „keine lange Anpassungsfrist“ an den Binnenmarkt mehr. Wenn der Widerstand gegen die neue EG- Energieverordnung, die die Monopole knacken und mehr Markt sichern soll, so weitergehe, dann müsse die Kommission eine härtere Gangart einlegen.

Auch mit dem geltenden rechtlichen Instrumentarium könne man nach seiner Überzeugung ohne langwierige Konsultation des EG-Ministerrates den Energiekonzernen auf die Füße steigen. Juristisch sei der Weg noch offen, so Ehlermann. Der EG-Beamte verwies auf den EG-Gerichtshof, der im vergangenen Jahr mehrere Entscheidung getroffen habe, die mehr Handlungsspielraum für die Kommission signalisieren. Die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln sind im Bereich der Elektrizitätswirtschaft jahrzehntelang unangewandt geblieben. Seit kurzem sind sie aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.

Ehlermann verteidigte vor allem den umstrittenen „Third Party Access“ gegen die Strommanager. Die EG-Kommission hatte vorgeschlagen, große Stromabnehmer sollen künftig ihren Strom auch bei anderen als ihrem regionalen Versorgungsunternehmen beziehen dürfen. Die regionalen Strommonopolisten wären verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen dafür ihre Stromleitungen zur Verfügung zu stellen. Deutsche Proteste, hier dürfte die ausländische Konkurrenz den deutschen Stromern die Rosinen wegpicken, teile er nicht. Schließlich könnten auch die Stromkonzerne selbst als Kunden auftreten.

Die deutschen Stromkonzerne befürchten, daß ausländische Anbieter ihnen ihre Großkunden wegnehmen, während sie weiter den Bauernhof im letzten Tal des bayrischen Waldes bedienen müssen. Versorgungspflicht und Konkurrenz im eigenen Gebiet, das gehe nicht zusammen. Dann müsse man eben die Versorgungspflicht aufgeben, den Bauern abhängen, und „der kann auf Kerze umsteigen“.