Entscheidung über die Werftensanierung in Mecklenburg-Vorpommern
: Halbe Privatisierungbeim Werftenpoker

■ Beim Tauziehen um die ostdeutschen Werften hat die Treuhand den Kompromißvorschlag der Schweriner Landesregierung bestätigt und...

Halbe Privatisierung beim Werftenpoker Beim Tauziehen um die ostdeutschen Werften hat die Treuhand den Kompromißvorschlag der Schweriner Landesregierung bestätigt und das Risiko auf zwei Unternehmen, die Bremer Vulkan AG und die norwegische Kvaerner-Gruppe, aufgeteilt. Die Werftarbeiter, die seit zwei Wochen symbolisch ihre Betriebe besetzen, fürchten langfristig das Aus.

Eines haben die Werftarbeiter Mecklenburg-Vorpommerns mit ihren Besetzungsaktionen erreicht: Die Treuhandanstalt hat immerhin schneller entschieden, was aus den Kernfirmen der ostdeutschen Schiffbauindustrie werden soll. Nach langen Diskussionen gab Präsidentin Birgit Breuel gestern in Berlin bekannt, daß der Treuhandvorstand die Werften weder einzeln noch als Gesamtindustrie privatisieren will.

Die beiden großen Konkurrenten, die Bremer Vulkan-Werft und die norwegische Kvaerner-Gruppe, bekommen die Verantwortung für jeweils die Hälfte der Arbeitsplätze. Das Filetstück, die Matthias-Thesen-Werft (MTW) mit heute 3.400 Beschäftigten in Wismar, bekommt die Bremer Vulkan AG, dazu das Dieselmotorenwerk Rostock (DMR) mit 1.100 Beschäftigten. Die Neptun-Warnow-Werft, die in Rostock und in Warnemünde noch 5.200 Menschen beschäftigt, geht an die Kvaerner-Gruppe. Der Augsburger Industriekonzern MAN, der das Dieselmotorenwerk übernehmen wollte, geht leer aus.

Die Entscheidung des Treuhandvorstands, die noch vom Verwaltungsrat, dem Bundesfinanzministerium und der EG-Kommission abgesegnet werden muß, ist ein Kompromiß zwischen den unterschiedlichsten Interessen, die im Schiffbau- Privatisierungspoker an der Ostseeküste aufeinanderprallten. Die Werftarbeiter und die IG-Metall wollten möglichst viele Arbeitsplätze erhalten wissen. Deshalb waren sie für das Konzept der „großen Verbundlösung“, das die Dachgesellschaft Deutsche Maschinen und Schiffbau AG (DMS) mit dem Bremer Vulkan ausgehandelt hatte. 51 Prozent der gesamten ostdeutschen Schiffbauindustrie sollten danach an den Vulkan gehen, 49 Prozent sollte die Treuhand zunächst behalten. Die Entscheidung für die „kleine Verbundlösung“, beteuerte Breuel gestern, sei für den Erhalt der Arbeitsplätze „nicht negativer als das DMS- Konzept“, knapp 7.000 der noch vorhanden 10.030 Arbeitsplätze würden so gesichert.

Das Interesse des Vulkan an der „großen Verbundlösung“ war einerseits, die Konkurrenz auszuschließen. Vor allem aber wollte er Zugang zu den ostdeutschen Subventionstöpfen. Mit allen drei DMS-Unternehmen hätte Vulkan über knapp die Hälfte der deutschen Schiffbaukapazitäten verfügt; der Großkonzern hätte somit noch größeren Druck bei der Verteilung der Werfthilfen des Bundes ausüben können.

Genau deshalb waren der Wirtschaftsminister des Küstenlandes Niedersachsen, Peter Fischer (SPD), und sein mecklenburg-vorpommerischer Kollege Conrad-Michael Lehment (FDP) gegen den großen Vulkan-Verbund. Außerdem will die mittelständische Meyer- Werft aus dem emsländischen Papenburg nur dann ein neues Werk auf Rügen hochziehen, wenn in der Umgebung nicht alles andere einem einzigen Riesen gehört — eine Meinung, die gute Chancen hat, bei der Bundesregierung Gehör zu finden: Innenminister Rudolf Seiters (CDU) hat seinen Wahlkreis im Emsland.

Treuhandpräsidentin Breuel begründete die „internationale Lösung“ vor allem mit Blick auf die EG- Kommission, die in der vergangenen Woche grundsätzliche Bedenken gegen einen hochsubventionierten ostdeutschen Schiffsmonopolisten angemeldet hatte. Angesichts der schwierigen Weltmarkt-Lage sei es zudem sinnvoller, das Risiko auf zwei Unternehmen aufzuteilen. Vor allem aber: Die jetzige Lösung ist mit der Treuhand-Ideologie „Privatisierung ist die beste Sanierung“ kompatibel, weil keine Anteile an den DMS-Firmen bei der Staatsholding bleiben. Gerade die Gewerkschaften hatten gefordert, daß die Treuhand sich an den Industriestandorten an einer Sanierung beteiligen solle; der Schiffbau sollte dabei der Einstieg in eine aktive Strukturpolitik sein.

Ob halbe oder ganze Privatisierung: Die Kosten der Sanierung werden zum großen Teil ohnehin aus der Bundeskasse, also aus Steuergeldern, zu begleichen sein. Aus alten Aufträgen sind Verluste von knapp einer Milliarde Mark aufgelaufen. Die Treuhand will die Werften „besenrein“ übergeben — die „Altlasten“ werden also höchstwahrscheinlich zum größeren Teil von der Treuhand übernommen, auch wenn über die genauen „Quantitäten“ (Breuel) weiter verhandelt wird. Ähnlich dürfte es bei den notwendigen Modernisierungsinvestitionen aussehen, für die von Experten weitere 1,25 Milliarden Mark veranschlagt werden.

Mit freiem Wettbewerb hat Schiffbau ohnehin nichts zu tun. Weltweit subventionieren alle Länder ihre Werften, am massivsten die Japaner und Südkoreaner, die sich so zwei Drittel des Weltmartkes für neue Schiffe sicherten. Für die Bundesrepublik gilt bei den Subventionszahlungen EG-Recht. Danach muß im ostdeutschen Schiffbau insgesamt ein knappes Viertel der vorhandenen Produktionskapazität (für Schiffbaufreaks: von 420.000 auf 320.000 Bruttoregisterzahl) abgebaut werden. Neue Schiffe dürfen in Westdeutschland zu neun Prozent, in Ostdeutschland wegen der besonderen Lage zu 15 Prozent subventioniert werden. Die westdeutsche Schiffbauindustrie, seit Ende der 70er Jahre eine Krisenbranche, wurde kräftig geschrumpft: Von den 78.000 Werftarbeitsplätzen des Jahres 1975 sind heute gerade mal 31.000 übriggeblieben.

Bremer Ängste wegen besserer Subventionslage

Der Bremer Schiffbau wurde Anfang der 80er Jahre noch radikaler als der Branchendurchschnitt von 21.000 Arbeitsplätzen auf ein Drittel in vier Unternehmen zusammengestrichen — die heute im Verbundkonzern Vulkan zusammengeschlossen sind. Heute schon prägen eher die Unternehmensbereiche Elektronik und Systemtechnik, die der Vulkan per Kapitalerhöhungen seit 1986 zukaufte, das Gesicht des Konzerns. In Bremen befürchteten gestern Vulkan-Beschäftigte, daß Kapazitäten wegen der besseren Subventionslage in den Osten verlagert würden, Bremen nur der Reparaturbetrieb bleibe.

Im Gegensatz zum Vulkan, der in Ostdeutschland Arbeitnehmer und Gewerkschafter auf seine Seite brachte, verdient die norwegische Kvaerner Gruppe das meiste Geld im Schiffbau, obwohl auch sie diversifiziert hat in die Bereiche Zellstoff- und Papierindustrie.

Bei den Belegschaften in Mecklenburg-Vorpommern stieß die Treuhand-Entscheidung erwartungsgemäß auf Ablehnung. Bei der Wismarer MTW hieß es: „Die Wismarer Werftarbeiter können sich mit dieser Lösung nicht einverstanden erklären.“ Die Haltung der Landes- FDP sei eine „Katastrophe für Mecklenburg-Vorpommern“. Auch die Landes-CDU wurde kritisiert, die noch vor wenigen Tagen einen — ursprünglich von CDU-Landeschef Günther Krause vorgeschlagenen — Paketverkauf der Werften in Wismar, Rostock und Stralsund bekräftigt hatte, in der gestrigen Koalitionsrunde der Treuhandentscheidung jedoch zustimmte. Donata Riedel