: Firma bedient, Anwohner vergessen
■ Planungsopfer aus Lesum klagen auf Entschädigung / Entscheidung vertagt
Am Anfang war eine Frage des Vorsitzenden Richters: „Sind Sie bereit ihr Grundstück zu verkaufen?“, begehrte er zu wissen. „Natürlich,“ antwortete der Kläger. „Aber inmitten eines Industriegebietes will keiner ein Grundstück kaufen.“
Die Rede ist von einem Prozeß, der gestern vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht stattfand, einem Prozeß, in dem festgestellt werden soll, ob drei Familien aus Bremen-Lesum Schadensersatzanspürche gegen die Stadtgemeinde Bremen haben. Die Familien Eylers, Lüth und Kromarek wohnen an der Straße Am Rastplatz, direkt gegenüber der Druckerei Jöntzen, oder besser: Sie wohnen in Insellage völlig von Firmengelände umgeben.
Dieses „Privileg“ verdanken sie einer Bebauungsplanänderung aus dem Jahre 1986. Damals hatte die Stadtbürgerschaft das gesamte Gebiet per Beschluß zum Gewerbegebiet erklärt. Mehrere Grundstücke wurden an die Firma Jöntzens verkauft, jeweils mitfinanziert aus Mitteln der städtischen Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft.
Mit den AnwohnerInnen, denen von der Stadt Unterstützung und Hilfe zugesagt worden war, wurde allerdings nicht weiter verhandelt. Lediglich ein „Preisdiktat“ der Stadt habe es gegeben, klagte der Rechtsanwalt der Anwohner vor Gericht. So hatte Anwohner Kromarek für ein Haus, das er 1983 für 310.000 Mark gekauft hatte, von der Stadt ein freundliches Angebot von 150.000 Mark erhalten. Ähnlich erging es den anderen Familien.
Der Rechtsanwalt der Stadtgemeinde, Volker Schottelius, ließ sich dadurch nicht stören: „Ich bestreite die Verkaufsabsicht und die Verkaufsbemühungen“, meinte er kurz und schlicht. Ein Recht auf Entschädigung durch die Stadt, sah Schottelius nicht: „Nachher wird da Entschädigung kassiert, und dann bleiben sie da noch 30 Jahre wohnen.“ Da platzte einer der Beteiligten der Kragen: „Die Bank sagt, das Haus sei nichts mehr wert. Deshalb kann ich das nicht beleihen und für meine Mutter behindertengerecht umbauen. Soll sie deswegen ins Heim?“, rief die Anwoherin in den Saal. Eine Antwort erhielt sie nicht.
Statt dessen beteuerte Schottelius mehrfach, die Stadt sei durchaus bereit, mit den Anwohnern über einen Ankauf zu verhandeln. Was die wiederum nicht glauben mochten. Denn nach dem letzten Termin vor Gericht hatte die Stadt nicht verhandelt, sondern weitere Daumenschrauben angelegt. Da wurde vom Bauamt Bremen- Nord ein Verfahren eingeleitet, um die Straße am Rastplatz zu entwidmen. Am Ende des Verfahrens hätten die Anwohner keine Zuwegung zu ihrem Grundstücken mehr. Eine weitere Folge des Entwidmungsverfahrens: Jetzt gibt es nur noch einen potentiellen Nutzer der Grundstücke, die Firma Jöntzens.
Während sich das Gericht eher vorsichtig an die Entschädigungsfrage herantastete, redete ein anderer Klartext. Henning Streu ist als Leiter der Enteignungsbehörde zu einer Einschätzung gekommen, die der der Anwohner sehr nahe kommt. „Da wird die ganze Last einer Planänderung den Bürgern aufgebürdet“, urteilte Streu. Der Rastplatz ist für den Chef der Landesbehörde „ein kleiner Fall Boxberg.“ Dort hatte damals Mercedes seine Teststrecke bauen wollen. Das Bundesverfassungsgericht hatte jedoch festgestellt, daß enteignungsähnliche Eingriffe zu Gunsten privater Interessen nicht zulässig seien. Streu: „Was hier gemacht wurde, ist auch eine Enteignung zugunsten einer privaten Rechtsperson. Die Anwohner sind die Opfer. Die müssen sich hochverschulden, während die private Firma Wirtschaftsförderung bekommt.“ Der Bebaungsplan sei schließlich 1986 auschließlich im Interesse der Druckerei Jöntzen aufgestellt worden. Streu: „Dieser Plan ist von dem Gewerbetreibenden bei der Politik bestellt worden. Und der ist dann bedient worden.“ — „Herr Streu mag die Firma Jönzens nicht.“ Mehr fiel Anwalt Schottelius dazu nicht ein.
Bis zum 8. April wollen die Richter entscheiden, ob sie einen Entschädigungsanspruch sehen. Bewegung gibt es inzwischen aus dem Haus des Wirtschaftssenators. Dessen Wirtschafts-Förderungs-Gesellschaft hat sich inzwischen nach Jahren des Schweigens gemeldet und Tischler Eylers Hilfe bei der Suche nach einem Ersatzgrundstück angeboten. hbk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen