Spazieren im inneren Ausland

■ »Die Angst vor dem Fremden aus psychoanalytischer Sicht«: Der Fremdenhaß als Angstreaktion auf das Verschwinden äußerer Grenzen

Schöneberg. In welcher innerpsychischen Verheerung der Deutschen entsteht der oft geradezu mörderische Haß gegenüber AusländerInnen? Dr. Thomas Krauß, Berliner Familientherapeut und Soziologe, bereicherte die möglichen Antworten auf diese Frage in seinem Vortrag: »Die Angst vor dem Fremden aus psychoanalytischer Sicht«, vorgestern abend in der Urania um einige neue Aspekte.

»Die Ausgrenzung des Anderen«, so seine pessimistisch-realistische These zu Anfang, dürfte so alt sein wie die menschliche Gruppenbildung überhaupt. Schon die alten Griechen hätten die in ihren Ohren »brabra«-brabbelnden Fremden »Barbaren« getauft und ihnen definitorisch das Menschsein abgesprochen. Dieser Ausgrenzungsmechanismus eigne sich gleichzeitig bestens als Träger für alle möglichen neurotischen Ängste. Denn im Gegensatz zur Furcht vor konkreten Gefahren entstehe die diffus wabernde Angst aus Verdrängung der eigenen unbefriedigten Triebwünsche. »Das Fremde macht Angst«, so eine seiner zentralen Thesen, »weil das Fremde das Bekannte ist«, es konfrontiert uns nämlich mit unserem eigenen verdrängten »inneren Ausland«. Der Ausdruck, der schon von Sigmund Freud himself stammt, soll auch auf den Umstand verweisen, daß das rationale Denken nach neueren Schätzungen nur ein Siebtel bis ein Achtel unseres psychischen Innenlebens ausmacht und somit »wie die Spitze des Eisbergs« aus dem Unbewußten ragt. Die Vergewaltigungswünsche deutscher Männer beispielsweise stammen aus diesem »inneren Ausland«, werden aber auf die äußeren Ausländer projiziert, »weil uns die unsere Frauen wegnehmen«. Die »Mordswut« auf diese Fremden, die man zu Tieren, Schweinen und nichtswürdigen Existenzen erklärt, sei in Wirklichkeit die abgespaltene Wut auf sich selbst und die Angst vor der eigenen Nichtswürdigkeit und Nichtigkeit.

Doch woher kommen diese inneren Verheerungen? Ganz anders als in der verklemmten wilhelminischen Ära Freuds ist Sexualität doch heute kein gesellschaftliches Tabu mehr, sondern eher ein »Massensport« (Thomas Krauß). Auch den »autoritären Zwangscharakter«, der den Aufstieg der Nazis ermöglichte, gebe es in dieser Form selbst bei den Skins nicht mehr, glaubte er, selbst wenn der Psychotherapeut Hans- Joachim Maaz das für die Ex-DDR vielleicht noch so sehe. Für die westlichen Industriestaaten jedenfalls seien ganz andere Krankheitssymptome typisch geworden: Störungen des narzißtischen Selbstbildes, »Borderline«-Störungen als Grenzfälle zwischen Neurose und Psychose, Perversionen, Süchte und andere Symptome »innerer Verwahrlosung«. Diese »Frühstörungen« seien indes noch viel schwerer zu behandeln als Neurosen, weil sie »älter« sind. Neurotische Störungen entstünden im Konflikt zwischen Triebwünschen des Es und einem allzu starr ausgeprägten Über-Ich, während sich die Frühstörungen noch vor der Entwicklung des Über-Ichs und des moralischen Gewissens bildeten. Ihr Hauptmerkmal sei deshalb ein schwach ausgeprägtes Ich mit sehr wenig Frustrationstoleranz und überwiegend primitiven Abwehrmechanismen, zum Beispiel Schwarzweißdenken und massiven Projektionen wie eben auch beim Fremdenhaß. Freud prägte dafür den Ausdruck: »Das einfachste psychische Leben kennt nur sich selbst«, Thomas Krauß ergänzte: Fremde »drohen diesen kleinen zerbrechlichen Narzißmus zu zerstören«.

Ist Fremdenhaß also eine Angstreaktion innerlich halt- und grenzenloser Menschen auf das Verschwinden politischer und geographischer Grenzen? Oder »gibt es einen gesunden Umgang mit Grenzen?«, wie eine Frau bei der anschließenden Diskussion fragte. Denn »nicht nur in Europa, sondern weltweit« würden die alten Grenzziehungen obsolet, obwohl es durchaus so etwas wie menschliche »Grenzbedürfnisse« gebe und »nur der Größenwahn grenzenlos« sei. Thomas Krauß bestätigte diesen Verdacht aus seiner Sicht. Grenzen, so meinte er aber, müßten »kommunikativ ausgehandelt« und dürften nicht nationalistisch oder ideologisch gesetzt werden. Ute Scheub