: Stasi im Fernsehgericht
■ Kennzeichen D, ZDF, Mi., 20.20 Uhr
Das Fernsehgericht tagt. Es verhandelt in Sachen „Pinkert gegen die Gerechtigkeit“. Vor acht Jahren hatte der Dresdner Diplomkriminalist Hans-Jörg Pinkert die Eheleute Ettendorf verhört. Über Monate hinweg, bis zu acht Stunden täglich. Die ordentlich archivierten Tonbandprotokolle, die dem Kennzeichen-D-Reporter Wolfgang Drescher zufällig in die Hände fielen, dokumentieren laut und vernehmlich die menschenverachtenden Methoden der Stasi, ihre Einschüchterungsversuche, das Staatsmachtgehabe und den Zynismus des Systems.
Im Namen des DDR-Volkes wurden die Ettendorfs seinerzeit für ihren Ausreiseantrag mit drei Monaten U-Haft, einem Jahr Bautzen und einer ruinierten Gesundheit bestraft. Nun arrangiert das ZDF eine Gegenüberstellung mit ihrem Stasi-Häscher. Weil man in Mainz der Meinung ist, daß das bloße „Aufdecken ohne Aussprache“ in Sachen Vergangenheitsbewältigung nicht weiterführt, sollen nun Opfer und Täter an einen Tisch. Sie treffen sich im Dresdner Stasi-Keller wieder. Hier fand einst statt, was für die Ettendorfs ein Grauen und für den Kriminologen ein Job war.
„Sachlich und anständig“ wollen Karin und Siegfried Ettendorf diese Begegnung abhandeln. Mit gespannter Ruhe hören sie gemeinsam noch einmal die harschen Wortwechsel, dann fragen sie den jungen Mann, der damals erst 28 Jahre alt war, nach Recht und Gerechtigkeit. Was er sich seinerzeit bei all dem gedacht habe? Wie er sich jetzt fühle? Ob er heute Reue empfinden könne, wollen sie wissen. Hans-Jörg Pinkert zuckt nervös mit dem Mundwinkel, zieht sich störrisch auf die seinerzeit gültige DDR-Rechtsprechung zurück — er ist kein Wendehals — und läßt sich endlich nach vier Stunden Kreuzverhör den Satz: „Dann entschuldige ich mich jetzt“ abringen.
Es hatte ein Gespräch, keine Abrechnung werden sollen. Aber was das ZDF zeigt, ist ein Tribunal, in dem der Täter von damals das Opfer ist und die Opfer nur Mittel zum Zweck sind. Was die Ettendorfs in diesen vier Stunden bewegt hat, was sie fühlten, ob sie Pinkert wirklich verzeihen konnten, bleibt offen. Wolfgang Drescher geht diesen Fragen in der zeitlichen Enge eines Magazinbeitrags nicht nach. Ihm geht es um den Kniefall des Stasi-Mannes, um einen Augenblick der Wahrheit, den es nicht geben kann.
Und so muß zur Dramatisierung des mühsamen Gesprächs immer wieder dieses schwerverständliche Tonband mit der haßverzerrten Stimme herhalten. Am Ende wissen wir, daß die Gerechtigkeit nichts mit dem herrschenden Recht zu tun hat. Das ist zu wenig. Auch eine Aussprache, die nichts aufdeckt, ist keine Form von Vergangenheitsbewältigung. Klaudia Brunst
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