Mit unendlicher Hartleibigkeit

Götz George (53) über Interviews, den neuen Film „Schtonk!“, den Neuen Mann, Fernbedienung im Theater und seine Pläne für die Lebensmitte  ■ Ein Interview von Hans-Hermann Kotte

Beim „Schtonk!“-Reporter Willié schleicht sich, wenn die Aufregung zunimmt, ein Sprachfehler ein, ein unabsichtlicher Atmer, etwas Asthmatisches. War das ihre Idee?

Götz George: Ja, das ist von mir. Der Willié schnupft ein bißchen Kokain. Ich bin darauf gekommen, weil ich jemanden kenne, der eine gespaltene Nasenscheidewand hat. Der hat auch diesen Atmer. Ich dachte, das ist ganz schön zur Charakterisierung von Willié, der macht das ja besonders dann, wenn er nervös wird. Wenn der Mann sich so in Formen pressen läßt, dann muß da auch eine unkontrollierte Reaktion passieren. Mir hat das geholfen bei der Rollenfindung — mit dem unendlich schweren Text, den mir der Helmut Dietl da aufdiktiert hat. Da durfte ja kein Äh und kein Oh verändert werden.

Wieviel Einfluß hatten Sie überhaupt noch auf die Rolle? Konnten sie in den Text eingreifen?

Dietl ist sehr präzise in der Inszenierung. Ich bin eigentlich jemand, der sehr kommunikativ arbeitet, mit Vorschlägen kommt und die Dinge auch mal völlig umstrukturiert. Das ging hier nicht. Dietl hat mich auf den Punkt geführt. Auch das Buch war sehr stark ausgearbeitet worden, zwei Jahre lang. Die Geschichte ist sehr klar gegliedert.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Schauspieler-KollegInnen?

Dietl hat ja wirklich eine Garde zusammengetrommelt, es war wunderbar, da hineingestellt zu werden. Dann hat man Rückendeckung, man muß aber auch kämpfen. Jeder beobachtet da jeden, jeder weiß vom andern. Umso berühmter du bist, desto genauer gucken sie hin — und du nimmst dich unendlich zusammen bei allem. Ich habe es mir zugleich leicht und schwer gemacht: Während der Vorbereitung habe ich mich oft mit Dietl getroffen, und ich war auch von Anfang bis Ende bei diesem Film immer dabei, selbst dann, wenn ich nicht dran war. Ich habe mir angeschaut, wie Dietl die Szenen aufbereitet, was er von den Kollegen verlangt. Ich wußte, er will, daß die Rolle so gelernt werden muß, wie sie da steht. Und das habe ich auch den Kollegen gesagt: Seid präzise, es hat keinen Sinn, ihn zu unterlaufen. Wir haben sehr ökonomisch gedreht, fast wie beim Fernsehen. Heute sind Technik und Produktion ja hauptsächlich auf Fersehen eingestellt, nicht auf einen großen Film.

Geht der große Film denn überhaupt noch in Deutschland?

Wir fangen an und haben ein Zeichen gesetzt. Wenn dieser Film nicht angenommen wird, bei diesen Schauspielern, diesen Kosten, dieser uns sehr wichtigen Geschichte — dann wird natürlich jeder Produzent kapitulieren. Wenn die Zuschauer das nicht wollen, dann weiß ich auch nicht, wie es weitergehen soll. Dann gibt es eben weiter Autorenfilme für drei Millionen.

Haben Sie vor der Rolle mit dem Ex-'Stern‘-Reporter Heidemann gesprochen?

Ja. Aber das hat mir nicht so viel gebracht, denn die Form des Willié war schon von Dietl völlig umrissen. Dennoch war ich froh, Heidemann auf Dietls Geburtstagsfeier zu treffen. Einfach um ihn einmal kennenzulernen. Ein weicher, vom Schicksal gebeutelter Mensch — mit einem Bedürfnis, sich permanent mitzuteilen. Die wirkliche Geschichte war ja noch viel irrer und unfaßbarer. Und wenn soetwas in der Chefetage des 'Stern‘ passiert, was ist dann los beim Kölner 'Express‘ oder bei der 'Bunten‘? Es wird teilweise sehr oberflächlich gearbeitet und nicht genügend recherchiert. Ich habe oft den Kopf hinhalten müssen und ich weiß jetzt noch besser, wie das funktioniert. Die sagen einfach: wir schreiben das so und so und alles andere interessiert uns nicht. Ein Schmerzensgeld von fünf bis zehntausend Mark, das zahlen wir locker. Mir haben solche Dinge oft sehr weh getan, weil das mit meiner künstlerischen Arbeit nichts zu tun hat.

Es gibt Kollegen von Ihnen, die solche Presse für sich nutzen.

Natürlich. Aber für mich war immer nur der Beruf wichtig. Und Interviews sind bei mir immer mit einer unendlichen Hartleibigkeit verbunden. Ich will nicht. Warum muß ich? Ich bringe Leistung — walte Gott auch kontinuierlich — und ich muß nicht noch mal hoch- und runtergejubelt werden.

Warum ist „Schtonk!“ nicht auf der Berlinale gelaufen?

Weil die Produktion sich sagt, daß wir als deutscher Film hier sowieso verrissen werden. Da gibt es ja Beispiele über Jahrzehnte. Die deutschen Beiträge hatten meist ganz schlechte Karten. Man kann doch nicht riskieren, daß ein Film, bei dem es eine solche Erwartungshaltung gibt, von überstrapazierten Kritikern im Vorfeld verrissen wird.

Und wenn die Festivalleitung stärker um den Film gebeten hätte?

Ich weiß nicht, was in diese Richtung passiert ist. Aber der Film war ja noch gar nicht richtig fertig, der war noch warm. Ich bin gespannt, wie das Publikum reagiert, besonders in den neuen Bundesländern.

Im Fernsehen sind die Produktionen oft unterfinanziert, muß gespart werden. Werden Sie jetzt wieder mehr Filme machen?

Ich habe mir für meinen Lebensabend oder meine Mitte — wie immer man das nennen will — folgendes ausgedacht: Erstens bleibe ich diesem Land treu. Ich will nicht nach Amerika, ich will nicht ausufern. Den Ehrgeiz, eine internationale Karriere zu machen, habe ich nie gehabt. Dann möchte ich meine neue Fernsehserie an die Zuschauer bringen, „Morlock“ werde ich dreimal im Jahr machen. Von der deutsch- deutschen Komödie „Schulz&Schulz“ ist eine pro Jahr vorgesehen. Dann habe ich immer noch eine Spanne von zwei Monaten übrig, in der ich einen Film machen kann. Ob das ein kleiner oder großer ist, interessiert mich nicht. Die Geschichte muß stimmen. Und wenn ich will, dann kann ich auch noch Theater machen. Aber das ist sehr anstrengend und wird auch vom Publikum nicht immer honoriert. Die Leute sind verzogen durch das Fernsehen, sie denken kleiner und sind nervöser geworden. Ich habe das Gefühl, die Zuschauer bringen ihre Fernbedienung mit ins Theater und wollen ständig umschalten.

Gibt es denn hier, wenn Sie sich auf Deutschland beschränken, Rollen für Sie? Etwa Komödien?

Die Komödie ist bei uns nicht zuhause. Wir haben nicht viele Regisseure, die das können. Dietl ist sicherlich der beste für dieses Genre — wenn nicht überhaupt der beste. Wolfgang Petersen ist drüben, Karl Schenkel, Uli Edel auch. Zeitweise bekomme ich interessante Angebote, aber sie sind vom Buch her so unausgegoren. Die deutschen Autoren und Produzenten wissen noch gar nicht, was ankommt beim Publikum. Und dann wird eben gemittelt: Ein bißchen Sozialkritik, ein bißchen Humor, ein bißchen Lovestory, Crime, Sex. Das verliert sich im Mischmasch und die guten Plots verwässern. Also wird die Geschichte umgeschrieben, einmal, zweimal. Dann finde ich die dritte Version gut, die aber will der Produzent nicht, weil er die Zuschauer von allen Seiten anmachen möchte.

Bereuen Sie die Konzentration auf Deutschland?

Daß ich hierbleiben werde, war immer klar. Schon allein weil mir die flüssige Kommunikation zwischen Regisseur und Schauspieler so ungeheuer wichtig ist. Wenn Englisch nicht die Muttersprache ist, dann funktioniert diese Kommunikation in ihren Nuancen nicht. Wer den Drive hat, internationale Karriere zu machen, der soll das tun. Ich bin aber hier glücklich, auch wenn ich das ganz große Geld hierzulande nicht verdienen kann. Mir sind Atmosphäre und Spaß wichtiger, das Reden, zusammen essen gehen. Ich will nicht allein in meinem großen Wohnwagen in Amerika sitzen und warten, bis ich gerufen werde. Das kann ich nicht, das bin ich nicht gewohnt. Ich brauche die Wechselwirkung zwischen Regisseur, Produktion und Darsteller. Wenn ich mir alle deutschen Schauspieler angucke, die mal im Ausland waren, auch diejenigen, die heute noch als Weltstars betitelt werden, dann sind am Ende alle irgendwann zurückgekommen.

Soll „Morlock“ eine Jahrzehnt- Serie werden wie Schimanskis „Tatorte“?

Nein, schon allein weil die Recherchearbeit für diese Manager-Serie so schwer und aufwendig ist. Da schreiben die Autoren lieber drei Schimanskis als einen „Morlock“. Die Geschichte, das Ambiente ist ja eine Idee von mir — es hat doch Jahre der Zusammenarbeit gebraucht, bis wir das erste Drehbuch vorliegen hatten. Wir haben x-mal geändert. Auch die Finanzierung im Fernsehen ist ja schwierig heute, WDR und SDR haben sich zusammengetan und noch RAI aus Italien dazugenommen. Es sind zwar sechs Folgen geplant, es ist aber kein Paket. Wenn wir kein drittes Buch finden, das wirklich gut ist, dann war es das eben gewesen.

Sie haben vorhin vom Zapping gesprochen. Was halten Sie vom heutigen Fernsehen, das ja in einer immer härteren Konkurrenz steht?

Ganz schlimm. Vor fünfzehn Jahren war ich ja fast als Faschist verschrien, als ich sagte: Bloß kein Kabelfernsehen. Eins, zwei und drei — alles andere ist zuviel für den Kopf. Heute ertappe ich mich selbst beim Zappen, weil die Öffentlich-Rechtlichen an Qualität verlieren. Die Leute bleiben nicht dran an den Geschichten. Wenn die Spannung mal kurz absackt wird gleich umgeschaltet. Vielleicht sind ja wirklich nur noch Sex, Volksmusik, Glückspiele und Vorabendserien gefragt.

„Schtonk!“ und die zugrundeliegende 'Stern‘-Affäre zeigen den grotesken Waschzwang der Deutschen, was ihre Vergangenheit angeht. Sehen Sie Parallelen zur jetzigen Dauergier nach Stasi-Enthüllungen, die die Westdeutschen endgültig vom geschichtlichen Ballast befreien sollen?

Diese Situation hat nun wirklich nichts Humoriges. Wenn uns irgendwann später aus dem Osten die Härte, Versautheit und Besserwisserei entgegenschlagen sollte, die wir jetzt zeigen, dann wird es einen irrsinnigen Kampf geben. Dann ist keinerlei Kommunikation mehr möglich. Ich finde, daß die Stasi-Aufarbeitung eine Angelegenheit von den Leuten drüben sein sollte. Diese Denunziationen aber wird man erst Jahre später als Farce verarbeiten können. Wir sind ja nun mal ein Volk von Denunzianten. Wenn heute einer von mir behauptet, ich sei bisexuell, dann muß ich erst mal beweisen, daß ich es nicht bin. Was soll denn das?

Könnte diese Praunheim-Geschichte auch damit zu tun haben, daß Sie eins der wenigen männlichen Sex-Symbole hierzulande sind? Daß Sie sich schon früh in Ihrer Karriere ausgezogen haben, Brust und Hintern zeigten?

Das hatte nichts mit Narzißmus zu tun. Das war eine Aufgabenstellung, die mir die Autoren angezogen haben. Von Haus aus bin ich eher ein schamiger Typ, was sich dann mit der Zeit verändert hat. Ein Charakter wie der Schimanski, der doch sehr direkt ist und auf den ersten Blick unkompliziert daherkommt, der sehr männlich ist, den muß man auch als Mann verkaufen. Im verklemmten Deutschland hagelt es dann eimerweise Briefe, in Amerika ist das alles viel unkomplizierter: Da zeigt der alte Kirk Douglas mit 72 oder 76 Jahren noch seinen Arsch.

Oder ist Rosa von Praunheim deshalb darauf gekommen, weil Sie selbst dem Schimanski und dem Thanner im 'Spiegel‘ gewünscht haben, schwul zu werden?

Ich wollte damit locker umgehen und das Phallussymbol Schimanski stürzen, das sich da aufgebaut hat, weil das Schlafzimmer der Deutschen so ärmlich ist. Schimanski sollte in der letzten Folge schwul werden. Die Produzenten und Autoren aber waren davon nicht begeistert. Doch immerhin ist in die letzte Folge eine schwule Figur eingebaut worden. Der Eberhard Feik und ich haben immer gesagt, wenn wir was machen können für Minderheiten, dann tun wir das. Ich dachte, ich könnte das machen mit dem schwul werden, weil ich Mann bin, voll Mann bin. Praunheim ist ein Pfeife, weil er es sich einfach gemacht hat und sich genau den „Supermann“ rauspickte. Da konnte er mit dem meisten Widerhall rechnen. Ich wollte Schimanski kippen, nicht Götz George. Praunheim macht es den schwulen Brüdern und lesbischen Schwestern ganz schön schwer mit seinem Auftreten.

Eigentlich aber ist Outing doch eine gute Sache...

Klar, bei Leuten, die lesbisch oder schwul sind, oder vielleicht bisexuell. Doch dann muß man sie fragen, sie anrufen: Es würde uns helfen, wenn Du das in der Öffentlichkeit sagst. Dazu bräuchte man aber eine integre Figur, die versucht, Prominente davon zu überzeugen. Praunheim geht es nicht um eine ehrliche Gesprächssituation, er betreibt Selbstvermarktung. Der hat immer schlechte Filme gemacht und will durch Outing wieder ins Gespräch kommen. Und mir schreiben die Neonazis jetzt, hau' dem Praunheim auf die Schnauze, Schimanski.

Wollen Sie Rosa von Praunheim wirklich auf eine halbe Million Mark verklagen? Soviel ist doch in Deutschland gar nicht drin.

Die 500.000 Mark sind das Zwangsgeld, das maximal möglich wäre, wenn er die Behauptung nicht unterläßt. Aber daß er das nie wieder behaupten wird, das hat mein Anwalt ja ganz schnell schriftlich gekriegt. Ich mußte etwas tun. Es ist einfach störend und nervend, wenn man von Kollegen oder vom Tankwart mit „Na, Schwester“ angesprochen wird. Ich bin kein Schauspieler, der die Öffentlichkeit sucht, wenn sie nichts mit dem Beruf zu tun hat. Es ist doch blöde, wenn ich zum Beispiel bei einer Aids-Gala im Fernsehen mitmache, dort eine Geschichte erzähle, die etwas Schimanski-like ist, und am anderen Tag steht in der Münchener 'Abendzeitung‘ die Schlagzeile: „Götz George: Sex. Löwitsch: Alkohol.“ Ich will einfach nicht dauernd in der Zeitung stehen.