Patt im Sejm lähmt Wirtschaftspolitik

Das Tauziehen um den neuen Haushalt hat begonnen/ Premier Olszewski sucht vergeblich Mehrheit für seine ökonomischen Grundlinien für das Jahr 1992/ Der Zentrumsvereinigung droht die Spaltung  ■ Aus Warschau K. Bachmann

Polens Premier Jan Olszewski ist zur Zeit nicht zu beneiden. Die „Grundlinien für die Wirtschaftspolitik 1992“, die er vor zwei Wochen der Öffentlichkeit vorgestellt hat, sind fast einhellig auf Kritik gestoßen. Am Wochende hat der Sejm das Papier nun sogar formell abgelehnt. Dennoch will Olszewski nicht zurücktreten und wird trotz der in Ungnade gefallenen Grundlinien den neuen Haushalt aufstellen. Eine Alternative zu seinem Programm, so seine Begründung, gebe es nicht.

Auf eine Parlamentsmehrheit für seine Wirtschaftspolitik kann Olszewski allerdings auch in Zukunft nicht rechnen. Unterstützt wird er nur noch von der Zentrumsvereinigung, den Christnationalen und der Bauernpartei, seine eigene politische Heimat. Zusammen haben diese Parteien allerdings kaum 200 Mandate. Für Olszewski genau 31 zu wenig. Vollmachten, um das Parlament zu umgehen, stehen auch nicht in Aussicht — zu ihrer Verabschiedung müßte die Verfassung geändert werden. Dazu bräuchte Polens Premier sogar eine Zweidrittelmehrheit. Vor diesem Hintergrund signalisieren die an der Regierung beteiligten Gruppen schon seit Wochen, daß sie an Zuwachs interessiert sind. Die Kaczynski-Brüder sollen sogar über einen Beitritt der Demokratischen Union zur Koalition verhandelt haben. Kaum kamen aber die Verhandlungen ans Licht, dementierte Olszewski: Er habe den Zwillingen keinerlei Vollmachten gegeben. Während nun die den Christnationalen angehörenden Minister ihre Ämter von Anhängern der Demokratischen Union säubern, werden gleichzeitig Politiker eingestellt, die der oppositionellen „Konföderation Unabhängiges Polen“ (KPN) angehören.

Deren Regierungsbeteiligung war daran gescheitert, daß ihr Chef Leszek Moczulski unbedingt Verteidigungsminister werden wollte. Da dieses Ansinnen sowohl bei den Militärs als auch bei Präsident Walesa auf heftige Ablehnung stieß, von Moczulski aber zur Bedingung gemacht wurde, mußte die KPN draußen bleiben. Dafür wurde inzwischen der britisch-polnische Doppelstaatsbürger Radek Sikorski stellvertretender Verteidigungsminister. Zweiter Vize ist der Historiker Romuald Szeremetiew. Beide Ernennungen stießen bei KPN auf regen Beifall. Im Streit darum, ob die Regierung nach rechts um KPN oder nach links um die Demokratische Union erweitert werden soll, droht indessen die Zentrumsvereinigung auseinanderzubrechen. Eine Gruppe christdemokratischer Politiker in der Partei, denen die Annäherung der Kaczynskis an Mazowiecki mißfällt, hat inzwischen einen Kongreß gegen das Verbot des Kaczynski-beherrschten Vorstandes abgehalten. Ein weiterer Rechtsruck in Warschau in Richtung KPN ist damit wahrscheinlicher geworden.

Trotzdem hat KPN im Parlament gegen das Wirtschaftsprogramm Olszewskis gestimmt. Der Grund dafür liegt aber nicht in der Gefahr einer höheren Inflation und Staatsverschuldung, wie sie Experten des IWF prognostizieren. Die Konföderierten befürchten vielmehr, daß in Zukunft zu wenig Geld gedruckt wird. Deshalb auch ihre Forderung an Olszewski, dem neuen Finanzminister, ein Anhänger solider Geldpolitik, den Laufpaß zu geben. „Der IWF sollte uns auch dann unterstützen, wenn wir uns nicht an seine Vorgaben halten. Von Polen geht eine Vorbildwirkung auf die ehemalige Sowjetunion aus. Die zu erschrecken, kann sich der Westen nicht leisten“, erklärt ein KPN-Abgeordneter die Marschrichtung seiner Partei. Sein vorsichtiges Lavieren zwischen Balcerowicz-Plan und „großem Umschwung“ in Richtung Deficit-spending kann Olszewski bei einer Beteiligung von KPN jedoch nicht lange durchhalten.

Aber ganz ohne KPN gibt es ebenfalls keine Zukunft für die Regierung. Bis April muß der Haushalt verabschiedet sein, ein Haushalt, für den, ganz gleich wie er ausfällt, keine Mehrheit in Aussicht ist. Entweder wird er zu inflationär sein, dann stimmt KPN dafür und Demokratische Union und Liberale dagegen. Oder er wird starke Kürzungen enthalten, dann hat Olszewski KPN und die exkommunistischen Sozialdemokraten gegen sich.

„Regiert“ wird Polen somit zur Zeit von einer negativen Mehrheit, die zwar alles blockieren, aber selbst nichts durchsetzen kann. Dauert die Verabschiedung des Haushaltes länger als drei Monate, kann Walesa das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Bis jetzt hofft allerdings auch er noch, daß sich die Koalition auf eine neue Grundlage stellen läßt.