IBM zieht die Branche in rote Zahlen

Zehn Prozent der Arbeitsplätze in der Computerindustrie werden in den nächsten Jahren abgebaut  ■ Von Erwin Single

Schon im letzten Frühjahr ahnte Hans-Olaf Henkel, IBM-Chef in Deutschland, nichts Gutes. Kaum hatte im fernen Armonk nördlich von New York Konzernboß John F. Akers seinen Managern unverblümt erklärt, „Big Blue“ stecke tief in der Krise, kündigte auch Henkel an: „Es wird nicht so weitergehen wie bisher.“

In der gesamten Computerbranche kommt es unter einer anscheinend noch ruhigen Oberfläche zu dramatischen Verschiebungen.

Wie schlecht die Zeiten tatsächlich sind, teilte die amerikanische IBM-Zentrale vor der Jahreswende mit. Fünf Prozent der Belegschaft, das sind rund 20.000 Beschäftigte, werden in diesem Jahr ihren Arbeitsplatz verlieren, zwei Drittel davon in den USA. Drei Milliarden US-Dollar will IBM so einsparen. Im Januar gab Akers dann bekannt, IBM habe im vergangenen Jahr einen Verlust von 2,3 Milliarden Dollar eingefahren — ein böser Schock für den Marktführer, der jahrelang an zweistellige Wachstumsraten gewöhnt war. Mit dem angeschlagenen Branchengiganten geriet der gesamte Markt in die roten Zahlen: Von den zehn größten Computerherstellern rutschten 1991 sechs ins Minus. Unysis verlor 1,5 Milliarden Dollar, Digital Equipment über 600 Millionen; der deutsche Rechnerhersteller Siemens-Nixdorf büßte 513 Millionen Dollar ein, der italienische Konkurrent Olivetti 250 Millionen. Auch Frankreichs High-tech-Konzern Bull mußte Millionenverluste abschreiben. Lediglich Japans Konzerne Fujitsu, NEC und Hitachi, die noch in anderen Elektroniksparten Geld verdienen, und Hewlett-Packard blieben von dem Bilanzkatastrophenjahr einigermaßen verschont.

Der Grund für die Einbrüche der Branchenstars: Ein ruinöser Preiswettbewerb, immer kürzere Produktzyklen, ständig steigende Entwicklungskosten und nicht zuletzt die schwächer werdende Weltkonjunktur. Insgesamt setzten die Computerhersteller knapp 10 Milliarden Dollar weniger um als noch 1990. Als Konsequenz bereiten die Firmen eine Rationalisierungswelle vor; bei fast allen Unternehmen stehen Massenentlassungen an, nachdem die Branche schon im letzten Jahr Tausende von Stellen gestrichen hatte. Branchenexperten gehen davon aus, daß in der Computerindustrie mittelfristig zehn Prozent aller Arbeitsplätze wackeln.

Daß die Computer-Großkonzerne in der Vergangenheit ihre liebe Not damit hatten, sich den mit schwindelerregender Geschwindigkeit ablösenden Trends und Entwicklungen rechtzeitig anzupassen, belegt das Beispiel IBM: In dem hart umkämpften Großcomputer-Sektor liefen die japanischen Elektronikkonzerne dem blauen Riesen bald den Rang ab, und immer mehr Anwender stiegen von den teuren Großrechnern auf billigere, leistungsfähige PC- Netzwerke um. In den USA nähert sich der PC-Markt allmählich der Sättigungsgrenze; zudem stieg der schwindende Käufer-Pool zunehmend auf IBM-kompatible Geräte der Billiganbieter um. Wichtige Trends, wie den boomenden Laptop- Markt, hatten die Chefs verschlafen, und auch der Einstieg in den Software-und Service-Bereich, der laut Experten Ende des Jahrzehnts den Hardwareumsatz bei weitem übertreffen wird, ging nur schleppend voran. Der Branchenprimus verlor rund ein Fünftel des EDV-Marktes.

Besonders umkämpft ist das in den letzten Jahren prosperierende PC- Geschäft, das bereits ein Drittel des gesamten Computermarkts ausmacht. Auch dort setzte IBM neue Standards, als sich die Managerriege in Armonk statt für Eigenentwicklungen dafür entschied, ihre Kisten mit Prozessoren von Intel und einem Betriebssystem von Microsoft auszurüsten. Aufstrebende Computerfirmen kopierten die Methode, kauften Billigteile auf Spotmärkten auf und bastelten sie zusammen — und das zu erheblich geringeren Preisen. Rund 300 Firmen handeln heute mit Personalcomputern — eine Entwicklung, die selbst an Apple und Compaq nicht spurlos vorbeiging. Compaq, das seinen Umsatz seit 1986 verfünffachen konnte, mußte 1991 einen Einbruch um fast 10 Prozent auf 3,3 Milliarden Dollar einstecken.

Angesichts der Hiobsbotschaften flüchten sich die Computerkonzerne in Firmenübernahmen, Fusionen und strategische Allianzen. Nixdorf schlüpfte 1990 unter die Fittiche des kapitalkräftigen Allround-Multis Siemens, die britische ICL landete bei Fujitsu, und Digital schluckte 1991 die EDV-Sparte des holländischen Elektrokonzerns Philips. Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer verbrüderte sich mit jedem, der sich ihm anbot. Aber auch die angeschlagene Olivetti-Gruppe des italienischen Industriellen Benedetti und die Hewlett-Packard-Company suchen nach finanzkräftigen Partnern.

Den größten Clou landete jedoch IBM: als die IBM-Spitzenmanager im vergangenen Herbst eine weitreichende technische Allianz mit dem PC-Superstar Apple verkündeten, stand die Branche Kopf. Die Konkurrenz fürchtet nicht zu Unrecht, das Duo IBM-Apple könnte die Karten im Geschäft mit Schreibtischrechnern, Labtops und Anwendungssoftware neu mischen. Noch eleganter sicherte sich IBM einen Zugriff auf den stark wachsenden Notebook- Markt. Die amerikanischen Computerbauer erwarben 5,7 Prozent des dahinsiechenden französischen Staatskonzerns Bull, dessen Ableger Zenith erfolgreich Kleinstrechner verkauft.

Doch auch die nächste Dekade verheißt nicht das große Geschäft. Der Entwicklungstrend nach dem Motto „immer kleiner, immer leistungsfähiger, immer billiger“ scheint in nächster Zeit kaum zu spektakulären Innovationen zumindest im Hardware-Sektor zu führen. Die Japaner setzen auf neue Bildschirmtechnik, andere, wie Apple, der auch mit Sony kooperieren will, liebäugeln mit Multimedia-Produkten. Ob daraus neue Wachstumsmärkte werden, ist mehr als fraglich. Auf dem EDV-Markt, prophezeien Computerexperten, werden sich in diesem Jahrzehnt gerade noch sechs, höchsten acht der großen Komplettanbieter halten.