Klinkenputzen bis zum Parteitag

■ „Primary“ und „Caucus“ im US-Wahlsystem: Der Wettlauf um die Delegiertenstimmen

Shake-Hands und Keep-Smiling bis zum Muskelkrampf, Klinkenputzen in den Vorstadtsiedlungen, Wahlkampf beim Schwimmen oder Joggen, Marathon durch High-Schools, Coffee-Shops, Kuhställe und Einkaufszentren in Dutzenden von Bundesstaaten — all das sind rein amerikanische Disziplinen von Präsidentschaftskandidaten, die anfangs oft nur ein Ziel haben: das eigene Gesicht so bekannt zu machen, daß den Bürgern irgendwann auch der richtige Name dazu einfällt.

Was nicht so einfach ist, denn Wählen ist in den USA nicht gerade ein Volkssport. Die Wahlbeteiligung ist seit 1960 von damals schon bescheidenen 62 Prozent auf 49 Prozent im Jahre 1988 gesunken. Auch Bill Clintons Freude über seine Erfolge bei der schwarzen Wählerschaft am „Super Tuesday“ wird so getrübt: Deren Beteiligung an den Vorwahlen lag um bis zu 60 Prozent niedriger als 1988, als Jesse Jackson kandidierte.

„Primaries“, wie sie am „Super Tuesday“ zum Beispiel in Florida, Mississippi oder Texas stattfanden, sind Vorwahlen im gesamten Bundesstaat, an denen alle registrierten Wahlberechtigten teilnehmen können. In manchen Bundesstaaten, unter anderem in New Hampshire, dürfen Mitglieder der demokratischen Partei nur zwischen den demokratischen, Mitglieder der republikanischen Partei nur zwischen den republikanischen Präsidentschaftskandidaten wählen. Vor allem in vielen Südstaaten existiert diese Beschränkung nicht. Andere Bundesstaaten — am „Super Tuesday“ waren es unter anderem Delaware, Hawaii und Missouri — ermittelten ihr Votum für den Spitzenkandidaten in einem „Caucus“: Die registrierten Wähler der jeweiligen Partei treffen sich in Kneipen, Sporthallen oder Privatgebäuden und stimmen zum Teil per Hand darüber ab, welcher Kandidat ihrer Meinung nach das Zeug zum Präsidenten hat.

Welche Bundesstaaten im Mittelpunkt des Interesses stehen, ist unter anderem eine Frage der Größe und der Zahl der Parteitagsdelegierten, die es zu „gewinnen“ gilt — insgesamt 4.284 bei den Demokraten und 2.206 bei den Republikanern. Bei den Vorwahlen in Texas die Nase vorn zu haben, wo auf es auf Seiten der Demokraten um 196, auf Seiten der Republikaner um 121 Delegierte ging, ist auf diese Weise zweifellos gewinnbringender als im kleinen Rhode Island.

George Bush hat mittlerweile über 600 Delegierte „gesammelt“. 1.105 braucht er, um seine Nominierung beim republikanischen Parteitag im August in Houston festzuklopfen. Bill Clinton hat inzwischen über 700 Delegierte zusammengebracht, Paul Tsongas nur rund die Hälfte. Mindestens 2.145 Delegierte muß gewinnen, wer auf dem Parteitag im Juli in New York zum Spitzenkandidaten gekrönt werden will.

US-Parteitage haben nicht im entferntesten jenes Klassenzimmerflair, das so häufig den entsprechenden Veranstaltungen der CDU oder SPD anhaftet. Da wird eine Mischung aus Gladiatorenschau und Karneval inszeniert, die ihren dramaturgischen Höhepunkt findet, wenn der Kandidat gekürt ist. Beim ersten Wahlgang sind die Delegierten in der Regel noch durch die Ergebnisse der Vorwahlen in ihren Bundesstaaten gebunden. Beim zweiten Wahlgang können sie abstimmen, für wen sie wollen. Völlig frei in ihrer Entscheidung sind bei den Demokraten 762 sogenannte „Super-Delegates“, Kongreßmitglieder, Senatoren, Gouverneure und hohe Parteifunktionäre. Auch unter ihnen hat Clinton bereits weit mehr Unterstützer als Tsongas. Beste Aussichten also für den Mann aus Arkansas, am Labor Day, dem 7. September und offiziellem Beginn des „eigentlichen“ Wahlkampfes, in den Endspurt um den Sitz im Weißen Haus anzutreten. Andrea Böhm