Auf seine Beamten konnte der NS-Staat bauen

■ Am Beispiel der eigenen Geschichte zeigt eine Ausstellung im Bezirksamt Wilmersdorf die reibungslose Zusammenarbeit der Verwaltungsbeamten mit den Nazis/ Nur wenige verweigerten sich der akribischen Unterdrückungsmaschinerie

Wilmersdorf. Beamte gelten gemeinhin als schlafmützig, phantasielos und unflexibel. Andererseits lief ohne die Verwaltung gar nichts. Wer sollte die arische Abstammung Heiratswilliger überprüfen und das pflichtgemäße Anbringen der gelben Sterne? Rein technisch gesehen, forderten auch das Euthanasieprogramm und die Ermordung der europäischen Juden eine Menge Organisation. Ohne Verwaltung hätte Hitler seine Diktatur nicht mal proben können. Die Gleichschaltung der Verwaltung war für die Nazis deshalb ungemein wichtig.

Wie richtig diese Einschätzung war, kann man zur Zeit im Rathaus Wilmersdorf, Fehrbelliner Platz 4, nachprüfen. Dort belegt eine Ausstellung die grausame Effizienz der Verwaltung am Beispiel der eigenen Geschichte. Knapp, aber übersichtlich, zeugen die Schriftstücke und Akten, die die PolitologInnen Monika Schmidt, Herbert Wehe, Marina Wimmers und Presseleiter Karl- Heinz Metzger zusammengetragen haben, von der Beteiligung der Beamten an Judenverfolgung, Zwangssterilisation und Euthanasieprogramm.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4. 1933 stellte den ersten Schritt zur konstruktiven und einvernehmlichen Mitarbeit der Verwaltung an der Errichtung des Dritten Reiches dar. Auf seiner Grundlage wurden in Wilmersdorf sieben höhere Beamte entlassen: zwei Kommunisten, vier Juden, ein »Unzuverlässiger«, sowie alle jüdischen Ärzte, Arbeiter und Angestellten.

Die Wilmersdorfer Bürgermeister Emil Franke und sein Stellvertreter Friedrich Spanier, beide von der Deutschnationalen Volkspartei, durften nach der Wahl im März ihre Ämter zunächst behalten. Ihre nationalkonservative Gesinnung stand den Nazis nicht für Ärger, doch bald stellte sich heraus, daß die beiden jeglichen revolutionären Eifers entbehrten.

So bemängelt im Juli 33 ein Standartenführer, daß »die Bezirksämter sich nach wie vor an das Verwaltungsgesetz halten und bei Einstellungen völlig selbständig handeln«. Dabei hätten SA, SS und Gauleitung — damals noch in schönster Eintracht — bereits eine Kartei mit besonders geeigneten Stellenanwärtern angelegt.

Ein unterer Charge der Verwaltung, ein gewisser Hermann M., kritisiert im Oktober in einem Brief an die Gauleitung, daß der Wilmersdorfer Stadtoberinspektor Ungewitter ein Bild des Führers nicht an repräsentativer Stelle aufgehängt, sondern in der Aktenablage verschludert habe. Außerdem grüße der Oberinspektor nie mit »Heil Hitler« und kritisiere öffentlich Gesetze der Reichsregierung.

Daß die Partei sie für irgendwie nicht staatstreu genug hielt, muß der Verwaltung mächig zu schaffen gemacht haben. So etwas war einem deutschen Beamten noch nie vorgeworfen worden. Einen tolldreisten Anbiederungsversuch belegt ein Foto aus dem Jahr 1937: Beamte sammeln für einen guten Zweck. Ihren Wagen schmückt ein Schild mit der Aufschrift: »Bürokratie ist heilbar«.

Seit 1936 war der 29jährige Verwaltungsjurist Hermann Petzke — seit elf Jahren Mitglied der NSDAP — Bürgermeister in Wilmersdorf. Eine seiner ersten Amtshandlungen ist die Aufstellung ausschließlich für Juden bestimmter gelber Bänke in den öffentlichen Parkanlagen, was er mit dem »frechen und anmaßenden Benehmen der Juden in den öffentlichen Park- und Grünanlagen« begründet. Diese Unverschämten besetzten schon am frühen Morgen die Bänke, »so daß für die erholungsbedürftigen deutschen Volksgenossen, betraten sie nach des Tages Last und Mühe abends die Anlagen, kein Platz mehr vorhanden war.« Petzke brachte es bis zum Regierungspräsidenten Berlins.

Einmal auf Vordermann gebracht, gewöhnte sich die Verwaltung schnell an den neuen Führungsstil. Jeder tat seine Pflicht, oder was er dafür hielt. Widerstand gab es nur bei den Bibliothekaren. Als im Frühjahr 1933 die Bibliotheken von den Werken »undeutscher Autoren gesäubert« wurden, versteckte Dr. Wilke, Leiter der Volksbücherei Wilmersdorf, mit Hilfe seiner Angestellten die ausgesonderten Bestände unter den Altakten auf dem Speicher. Die Bibliotheksangestellte Gerda Bartels versteckte von 1942 bis 45 die jüdische Lehrerin Dr. Danziger in ihrer Wohnung.

Tapfere Ausnahmen. Kennzeichnend für die grausame Absurdität des Beamtenalltages sind die Schriftstücke aus dem Jahr 1943, die nebeneinander am schwarzen Brett hätten hängen können. Himmler setzt Regierungspräsidenten, Landräte und Bürgermeister davon in Kenntnis, daß in Kaufbeuren der stellvertretende Regierungsrat Vollrath wegen »gröbster defätistischer Äußerungen zum Tode verurteilt« wurde. Daneben hängt die Route des 35. Wandertages des Stadtsportvereins. Anja Seeliger

Die Ausstellung in der Eingangshalle des Rathauses Wilmersdorf kann noch bis zum 30. April 92 montags bis freitags von 8.00 bis 18.00 Uhr besichtigt werden. Information und Anmeldung für Gruppenführung unter Tel.: 86 41 23 58.

Wer noch Material aus dieser Zeit hat, möchte sich ebenfalls unter dieser Nummer melden.