Projekt Zukunft Ostsee

■ Die Ars Baltica im Künstlerhaus Bethanien und dem Kunstwerke e.V.

Nach Kiel und Riga ist Berlin die dritte Station einer Ausstellung nordeuropäischer Kunst, die bereits im Vorfeld Stoff für Diskussionen lieferte. In der vom schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten und designierten SPD- Kanzlerkandidaten Björn Engholm lancierten »Ars Baltica« werden Arbeiten von vierzehn KünstlerInnen aus zwölf verschiedenen Ländern rund um die Ostsee gezeigt. Als Vorbote der von Engholm avisierten »Zukunftsregion Ostsee« gedacht, ist die Ars Baltica Teil eines großangelegten Projektes, mit dessen Hilfe traditionelle Kulturzusammenhänge und der wirtschaftliche Aufschwung in Nordosteuropa neu belebt werden sollen.

Was immer man von dem Auswahlprinzip Nationalität halten mag, der finnischen Kuratorin Maaretta Jaukkuri ist es mit feinem Gespür und unter bewußtem Verzicht auf eine einheitliche Linie gelungen, die grenzüberschreitende Vielfalt der künstlerischen Ansätze in den Vordergrund zu stellen. Die im Künstlerhaus Bethanien und den Räumlichkeiten des Kunstwerke e.V. veranstaltete Ausstellung ist Schauplatz der verschiedensten Arten von Malerei, Bildhauerei und Installationskunst.

Die in Berlin und auf den von der Nordsee umspülten Lofoten lebende Malerin Anne Kathrin Dolven zeigt zwei ihrer objekthaft konzipierten »weißen« Gemälde aus der Virgin- Serie. Entweder absichtlich hinter einer den Raum widerspiegelnden Glasscheibe versteckt oder ganz ohne Rahmen aufgehängt, liegen breite Bahnen weißer Farbe in einfachen geometrischen Konstellationen auf grauem Untergrund. In ihrer meditativen Ruhe wirken sie wie eine schweigsame Aufforderung, sich im genauen, begriffslosen Sehen zu üben.

Eine völlig entgegengesetzte Kunstauffassung repräsentieren die ironisch-prächtigen Malereien des Esten Raul-Kalew Rajangu und der Moskauer Künstlergruppe AES. Die Moskauer behängen monumentale Darstellungen von Architekturornamenten und austauschbar schönen jungen Männern mit bestickten Schärpen und seltsamen Gummischlauchspiralen. Rajangu drückt die Farbpaste direkt aus der Tube auf die Leinwand. Daneben klebt er Teppichreste oder Teile von anderen Bildern.

Eindeutig politisch motiviert zeigt sich der Lette Leonards Laganowskis in seiner Tribünen-Serie, einer Reihe von Zeichnungen, die das mittlerweile aufgelöste System der Nomenklatura karikieren. Der Isländer Gudmundsson wiederum nimmt sich des zeichnerischen Rohmaterials an. Er legt mächtige Papierrollen auf Graphitblöcke oder mauert hauchdünne Bleistiftminen in die dafür bereitgestellte Wand.

Unter den auf der Ars Baltica vertretenen Bildhauern finden sich international anerkannte Künstler wie der Pole Miroslav Balka, der mit seinen Pinguinlampen-Installationen auch bei dem letztjährigen Kunstgroßereignis Metropolis präsent war. Der in Turin lebende Däne Per Barclay feiert mit Fotoabzügen seiner Oberflächeninstallationen, die festen Boden zu immaterialisieren scheinen, weithin Erfolge. Spielerisch heiter sind die Musikboxen des in Dresden geborenen Wolfgang Heisig. Ein Kuriosium stellt dagegen der Umgang mit der Arbeit des Berliner Künstlers Rainer Görß dar. Dessen bei der HDW-Werft in Kiel gesammelte Fundstücke legte man — ohne sie zusammenzubauen — einfach auf den Boden des Ausstellungsraums. In bester Streit-um-Beuys- Manier wurde allein dem Künstler die Fähigkeit zugesprochen, die Installation authentisch zu montieren.

Nun wartet man auf Görß' Rückkehr aus den USA. Warum allerdings für diese unbefriedigende Lösung ein eigener Raum benötigt wurde (das Studio II des Bethanien), während die auf großzügige Präsentation hin konzipierten Gemälde von Dolven und der Gruppe AES unter die Treppe beziehungsweise auf die Empore des Studio I gequetscht wurden, wird das Geheimnis der örtlichen Veranstalter bleiben.

Und noch eine kritische Frage darf an die hinter der Ausstellung stehenden politischen Willensträger gerichtet werden: Angenommen, Ars Baltica reüssiert als kulturelle Vorhut für den wirtschaftlichen Aufschwung, welchen Stellenwert hat Kunst, wenn die Geschäfte gemacht werden? Ulrich Clewing

Im Künstlerhaus Bethanien Studio I und II und im Kunstwerke e.V., bis 31.3.92