Schabowski trägt »Schuld und Sühne« ab

■ Im Museum Checkpoint Charlie trafen sich der Ex-Bezirkssekretär und der aus der DDR freigetauschte Journalist Dieter Borkowski zu einem Streitgespräch/ Statt Dialog war es ein Knockout nach Punkten

Berlin. Die Stasi war Schild und Schwert der Partei. So stand es in ihren Schulungspapieren, und diese Verantwortung der Partei gerät heute in Gefahr, vergessen zu werden.

Von den einstigen Führungsgrößen ist bisher nur das Ex-Politbüromitglied Günter Schabowski bereit, öffentlich über das System und die eigene Schuld daran zu sprechen. Vor zwei Wochen diskutierte er mit Jung- CDUlern in Charlottenburg und am Dienstag im Museum Checkpoint Charlie mit dem 1973 gegen West- Spione ausgetauschten Journalisten Dieter Borkowski.

Aber das als »Streitgepräch« angekündigte Duell war keines, und das lag nicht an Schabowski, sondern an seinem Kontrahenten und an dem Moderator des Abends, dem Dokumentaristen Siegmar Faust. Dieser hatte in seiner Einleitung gesagt, die Runde trage eine »sportliche Note«, denn vom intellektellen Niveau wären Schabowski und Borkowski »gleichwertige Partner«. Das mag sein, bloß Borkowski begriff die Ankündigung als eine Einladung zum Wettbewerb nach Punkten. Er überschüttete den Berliner SED-Bezirkssekretär der achtziger Jahre mit einer grauenhaften Geschichte nach der anderen aus den stalinistischen fünfziger und sechziger Jahren. In einem furiosen Stakkato rasselte er Namen von nach Sibirien deportierten Sozialdemokraten, verhafteten abtrünnigen Ministern und korrupten Kommunisten herunter (»Orwell war naiv gegen das Schwein Ulbricht«), beschwor die Atmosphäre des Kalten Krieges, in dem Adenauer und Kurt Schumacher für die »Heuchler« hinter dem Eisernen Vorhang die Inkarnation des Bösen, die »imperialistischen Kriegstreiber« gewesen waren. Je länger Borkowski mit bühnenreifen Monologen und der Kraft einer Dampfwalze die Stalinisten der frühen Jahre platt machte, desto sympathischer wurde ihm und den Zuhörern der moderne Ex-Genosse Schabowski. Vollends zum »lieben Freund« befördert wurde er, als das Ex-ZK-Mitglied die »Kardinalfrage«, nämlich, ob er der Stasi zugearbeitet habe, mit »niemals« beantwortete.

Nicht ein einziges Mal begriff Borkowski seinen Partner als das, was er heute ist. Nämlich ein genauso überzeugter Antikommunist, wie er einst »gläubiger« Kommunist gewesen war. Schabowski ist kein billiger Wendehals, sondern ein Konvertit, ein Saulus, der zum Paulus geworden ist. Selbst seine Sprache ist dem Neuen Testament entlehnt. Seine »Erleuchtung«, daß die ganze Planwirtschaft, das ganze System »des Teufels« ist, sei nur erfolgt, weil die Partei ihn im Januar 1990 »verstoßen habe«. Seine »Mission« sei heute, durch Aufklärung der Mechanismen der Macht beizutragen, daß niemals wieder Menschen von einer Ideologie abhängig werden. Seine »Sühne« sei es, öffentlich zu »bekennen« — »ja, ich bin schuldig« geworden —, weil »ich Verantwortung trug«. Die Schüsse an der Mauer waren möglich, weil »ich im Zentrum des Apparates keine Gelegenheit wahrnahm, gegen Unrecht zu protestieren«. Und die einzige Möglichkeit, wieder »ein nützliches Glied der Gesellschaft« zu werden, sagte er, sei es, »andere mit meinem Leben zu warnen«, sich jemals wieder auf einen »utopischen Fundamentalismus« einzulassen. »Der Kommunismus ist nicht zu reformieren«, lautete Schabowskis Fazit, die DDR-Geschichte könne nur als eine »Genese des Scheitern« erfaßt werden.

Eine Erkenntnis, die Borkowski mit Dank quittierte. Man ging auseinander, ohne miteinander gesprochen zu haben. Anita Kugler