Junge Liebe, allgütige Verzeihung

Frank Martins Zitateoper „Der Sturm“ als Teil des Bremer Gesamtkunstwerks zum Shakespearestück  ■ Von Irene Tüngler

Klee? Nein. Kandinsky? Auch nicht. Miro? Ja, Miro. Natürlich nicht Miro, sondern Markus Lüpertz. Es sieht sehr schön aus, wenn ein Maler eine Opernbühne ausstattet. Hellblauer Bühnenboden, das Meer, darauf ein gelber Kreis, die Insel, vor weißem Rundhorizont. Auf der Insel die seltsamsten weißen Türme, riesige luftige Styroporgebilde, wie der Hintergrund bemalt mit Augen, Fischen, Kreisen, Linien, Schleifen, Sternen: Zauberzeichen und Symbole, nach Jahrzehnten einschlägigen Gebrauchs eher vertraut als geheimnisvoll. Immerhin befinden wir uns auf magischem Grund und Boden, auf Shakespeares Prosperos Insel. Allerdings auch in der Oper Der Sturm von Frank Martin, und mit der christlich-braven Musik dieses Schweizers ist alle Magie von unserem Pfad entfernt.

Anfang der fünfziger Jahre komponiert, klingt es sehr nach deutschem symphonischen Schaffen, nach neuer Sachlichkeit, nach Hindemithschem Klassizismus, nach den dreißiger Jahren. Zitiert wird fleißig, und das erheitert prompt: Mendelssohns Hochzeitsmarsch und Wagners Lindwurm, barockes Ballett und zaghaft angejazzter Saufgesang. Martin hat kein eigentliches Libretto verwendet, Shakespeares Stück wird nach der klassischen Übersetzung August Wilhelm von Schlegels gewissermaßen im melodisierten O-Ton deklamiert.

Die von dahinfließender Streicherharmonik dominierte, sorgsam von allen Höhepunkten und Aufregungen reingehaltene Musik hat Lüpertz tatsächlich stilistisch stimmig ins Optische übersetzt. Weiß und hell-bunt auch die figurinenhaften Kostüme, eine Mischung aus Käthe- Kruse-Puppen, Commedia dell'arte und triadischem Ballett in der Bauhaustradition.

Dieser gut komponierte Ästhetikmix bestimmte auch die kunstige Figurenführung des Regisseurs und Bremer Generalintendanten Tobias Richter.

Alles sehr schön — nur mit dreieinhalb Stunden ein wenig zu lang. Oder: für dreieinhalb Stunden zu viel Ästhetik und zu wenig Oper. Das Bremer Philharmonische Staatsorchester übte unter Ira Levin viel Feinsinnigkeit an der Partitur; einen von vornherein altersmüden, sich nur gelegentlich zu etwas aufklärerischer Energie aufraffenden Prospero gab Joshua Hecht, Katherine Stone als sein fünfzehnjähriges Töchterlein Miranda wäre noch zu erwähnen, ein glasklar sonnenheller Sopran, dem zu lauschen Freude machte.

Rings um das vergleichsweise windstille Opernereignis hat man in Bremen eine Sturmflut entfesselt, ein Gesamtkunstwerk mit Greenaways und anderen Sturmfilmen, mit Sturmmusiken, mit diversen Martinkompositionen, mit einer Wotruba- Sturm-Bühnenbild-Ausstellung. Entdecken kann man immerzu und überall. In Bremen geht die Sehnsucht ganz offensichtlich nach dem Phantasialand der musiktheatralischen Harmonie. In der vergangenen Saison ließ man Walter Braunfels' Spätromantische Vögel nach dem „reinen Reiche der Phantasie, der Kunst, der Poesie“ abfliegen; jetzt war es eben Prosperos Insel, auf der ein guter Alter mit Zauberstab und im blauen, silbergestirnten Zauberermantel zum samtenen Celloton junge Liebe stiftete und allgütige Verzeihung übte.

Dennoch, regelmäßige Entdeckungsfahrten halten ein Ensemble munter und ein interessiertes Publikum bei der Stange, auch wenn sie gelegentlich in der Sackgasse enden. Dies sollten nicht nur Hanseaten beachten.

Der Sturm. Musik: Frank Martin; Inszenierung: Tobias Richter; Bühne und Kostüme: Markus Lüpertz. Nächste Aufführungen: 21./27. März, 21./25. April, jeweils 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz