Unterm Strich

Berichtigen wir uns: Nun dachten wir, zum VS- Vereinigungskongreß in Travemünde im Frühjahr letzten Jahres das Nötige und gar das Überflüssige gesagt zu haben; taten in einem ausführlichen Kongreßbericht Erwähnung der Herren Heym & Friesel, Engholm & Schäuble, die alle schirmten und schützten, was von der deutschen Verbandsliteratur noch übrig war an jenen gesegneten sonnigen Tagen am Busen der deutschen Ostsee. Es waren schöne Stunden vereinender Geselligkeit, die uns ewig unvergeßlich bleiben werden (auch die Entdeckung eines deutschen Weines, der dort, im Küstenrestaurant, mit dem Etikett „Vereinigung“ angeboten wurde, auch die gepflegte Steilküste, die ungerührt an den Absturz höchster Bestrebungen gemahnte, auch der Verzehr grüner Heringe in Erinnerung an Thomas Mann mit der obligat folgenden Depression [„Das Leben ist faul“, sagte Senator Giesecke]) — da flattert uns doch eine brandneue, druckfrische, hochaktuelle Veröffentlichung des Steidl-Verlages auf den Tisch: Komm! ins Offene, Freund!, herausgegeben vom Verband deutscher Schriftsteller: „Schon fast ein historisches Dokument, liebe Kolleginnen und Kollegen!“, heißt es in dem erfrischenden Beipackzettel — aber: „Diese Publikation über den 10. außerordentlichen Schriftstellerkongreß des VS ist keine lückenlose Wiedergabe des Tonbandprotokolls“, warnt uns der Klappentext, „jedoch eine bei allen Raffungen substantiell vollständige Dokumentation. Stilistische Korrekturen des gesprochenen Wortes geschahen stillschweigend.“ Wir zitieren hier nur den Schluß des Bandes, der uns für das enzyklopädische und doch substantielleDokumentationsbestreben des VS nachgerade paradigmatisch erscheint und bei dem wir einmal mehr der Bäume gedenken, die dafür haben fallen dürfen:

IRMELA BRENDER, Baden-Württemberg

Ich möchte doch noch gern den Sekretärinnen danken, die im Tagungsbüro wirklich viel geschuftet haben, und dem Landesverband, der unser Gastgeber war.

UWE FRIESEL

Vielen Dank, Irmela. Dem möchte ich mich im Namen des Bundesvorstands anschließen. Allen, die uns geholfen haben, daß dieser Kongreß stattfinden konnte, vielen Dank.

Auch das Zeitalter der Performance hält ungeahnte sinnliche Genüsse bereit. Nur wenige Minuten nach der letzten Vorstellung von „Cyrano de Bergerac“ hat sich Jean-Paul Belmondo am Mittwoch in Tokio seinen Schnurrbart abrasiert. Die Aktion erfolgte vor laufenden Fernsehkameras in der Garderobe des französischen Schauspielers. Belmondo war zwei Jahre lang mit Schnurrbart als Cyrano auf der Bühne tätig. Allein in Tokio, der letzten Station der Tournee, war das Stück zehnmal aufgeführt worden. Die Aufführungen erfolgten auf Französisch, der Text wurde simultan übersetzt. Nachdem der Vorhang gefallen war, betonte Belmondo, er habe nicht mit einem so großen Erfolg gerechnet. Ein halbe Stunde lang hatten die 2.000 Zuschauer den französischen Star am Mittwoch begeistert gefeiert. Das Stück wurde in Frankreich, Belgien, Italien, Österreich, der Schweiz und Japan gezeigt.

Schon am 3. März ist, wie jetzt bekannt wurde, der Maler, Objektkünstler und Filmemacher Curt Stenvert in Köln gestorben. Der 71jährige, der eigentlich Kurt Steinwendner hieß, wurde in Wien geboren und gehörte anfangs zur Schule des phantastischen Realismus um den gräßlichen Ernst Fuchs. Seit den 50er Jahren gestaltete er auch futuristische Experimentalfilme; später entstanden surrealistische, mit Texten verbundene Objektmontagen als „ironische und gesellschaftskritische Symbole menschlicher Existenz“, wie die Nachrichtenagentur es beschreibt, der wir glauben müssen, weil keine eigene Erinnerung sich einstellen will.

Ebenfalls verstorben ist der amerikanische Filmregisseur und Schriftsteller Richard Brooks vorgestern in Beverly Hills im Alter von 79 Jahren. Brooks, der beim Rundfunk begann und auch kurze Zeit für das Theater arbeitete, hat häufig literarische Vorlagen verfilmt, so Die Brüder Karamasow, Conrads Lord Jim und die Tennessee-Williams-Dramen Die Katze auf dem heißen Blechdach und Süßer Vogel Jugend. Der in Philadelphia geborene Regisseur drehte mehr als 20 Filme, zu denen er meist das Drehbuch selbst schrieb. Zu seinen Arbeiten gehören Hexenkessel mit Cary Grant, Flammen über Afrika und die großartige (ja, wir zögern nicht, dieses Wort zu verwenden) Verfilmung von Kaltblütig nach dem Roman von Truman Capote. Brooks hat auch mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Hollywood-Roman Der Produzent.

Begründungen für Rücktritte (wie auch Meldungen der Substanz „Der Bart ist ab“) scheinen uns richtig für das heutige Datum. So zitieren wir Wolfgang Hilbigs Bemerkungen in der gestrigen 'FAZ‘ zum gemeinschaftlichen Rücktritt der Nicolas-Born- Preis-Jury, den wir bereits beipflichtend gemeldet haben: „Die Jurorinnen und Juroren... sind der Meinung, daß die im Besitz des Burda-Verlages befindliche SUPER!-Zeitung... mit gewissen Mitteln ihrer Berichterstattung Kapital schlägt aus der Ausländer- und Asylantenfeindlichkeit, die es zur Zeit in einigen Kreisen in den neuen Bundesländern gibt. (...) Die Nicolas-Born-Preis- Jury ist der Meinung, daß der jungen Literatur ein mit solcher Zeitungssprache erwirtschaftetes Geld nicht zusteht. Wir bedauern das vorläufige Ende dieses Beispiels von Literaturförderung.“ Soweit die Jury selbst, und nun das allfällige Rauschen im Blätterwald. Denn:

Auch die 'Zeit‘, für Gesinnungsfragen in der Kunst von alters her offen und zuständig (man denke nur an die unerschrockene, ja mameluckenmutige Aufforderung zur Erweiterung der Rushdie-Kampagne der taz mit Hilfe von Postkarten an Herrn Genscher!), lobt den Rücktritt und empfiehlt gar außerdem der Jury des Petrarca-Preises (der ebenfalls von Hubert Burda gestiftet wurde) das selbige.

?Wo ist Werner Schiffauer? Wenn wir ihn hätten kontaktieren können zur einvernehmlichen Kürzung seines nächsten Beitrages im Kursbuch Nr. 7, das am Montag erscheint, dann hätten Sie morgen einen Aufsatz zum Thema „Die Fremden in der Stadt“ vorabdruckmäßig auf den Kulturseiten zur Kenntnis nehmen können. So müssen wir die Zeitschrift kaufen. Sie auch.