ESSAY
: 007 rettet den Regenwald

■ Amazonas goes to Hollywood

Als James Bond noch Sean Connery und der noch jung war, da war die Welt noch in nuklearer Ordnung, waren Gut und Böse hübsch nach Himmelsrichtungen aufgeteilt. Seinerzeit bot der Ost- West-Konflikt ein hervorragend realistisches Schema für Hollywoods Heldenschmiede. Heute kommen aus Moskau ernstgemeinte Liebesgrüße, und die Filmindustrie sucht nach einer neuen Front. Jane Fonda, Darryl Hannah, Bette Midler, Robert Redford, Silvester Stallone und eben Grand Old Connery setzen sich nun vehement für die Umwelt ein. Nach dem Scheitern der Politik versucht jetzt der Film, insbesondere den Regenwald zu retten. Was Washington nicht geschafft hat, Hollywood soll es bringen. Großartig? Hollywood ist immer großartig.

Zur Zeit läuft in den Kinos der nördlichen Hemisphäre „der erste Film, der die Bedrohung der Regenwälder inhaltlich verarbeitet“ (Eigenwerbung des Verleihs). Der Titel: Medicine Man — die letzten Tage von Eden. Wenn sich der alte Herr Connery als postmoderner Tarzan an Kunststoffseilen durch den Urwald Südamerikas schwingt und ihm eine Schönejungeblonde (Lorraine Bracco) lachend hinterdreinsegelt, dann beißen wir die Zähne zusammen, denn wir wissen — es wird ernst. Wir sehen einen Film, der spielt nicht im, nicht über, sondern für den Regenwald. „Ich werde meine Empörung herausschreien“, hatte Sean Connery, Produzent und Hauptdarsteller von Medicine Man, gedroht. Und so ist der Streifen auch geworden. Ein großes Thema, eine wichtige Message, ein imposanter Schauspieler — aber ein schlechter Film.

Das alles wäre so schnell vergessen wie Harrison Fords DschungeldramaMosquito Coast oder Connerys Tarzans Greatest Adventure von 1959, wenn nicht derart viel politisches Engagement darangehängt würde und der Film nicht ein Pionier Hollywoods im Regenwald wäre. „Warum sollte ich nicht als Mister Greenpeace statt als Mister Bond in die Filmgeschichte eingehen?“, fragt sich der Hauptdarsteller. Schließlich geht der Reinerlös des Films an „drei weltweit anerkannte ökologisch orientierte Hilfsorganisationen“ (Eigenwerbung Scotia- Film). Schließlich kämpft in dem Film Dr.Campbell für den Erhalt eines Stücks Regenwald, in dem er Ameisen entdeckt hat, die das langersehnte Heilmittel gegen Krebs absondern. Die Brandrodung macht den Menschheitstraum wieder zunichte.

Damit zielt das Drehbuch bei aller Pathetik auf das für die Metropolenbewohner engste Motiv zur Rettung des Regenwaldes — seinen pharmakologischen Reichtum. Dennoch: Wer wollte etwas daran aussetzen, wenn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für den Regenwald gekämpft wird — Kitsch und Kommerz selbstverständlich eingeschlossen? Doch bei diesem Thema reißt die postmoderne Bilderflut jede mögliche Tiefenwirkung mit sich hinweg. Nach einer halben Stunde Werbung, bei der in Sekundenschnitten aggressive Raubkatzen, rasende Autoreifen und rassige Fotomodelle an Südseestränden ineinanderstürzen, muß ein Film wenigstens eines der gängigen Klischees nicht bedienen, um sich aus dem bunten Einerlei leidlich abzuheben. Doch dieser Film tut genau das Gegenteil. Alles ist voraussehbar: Die Frau ist zu blond (auch wenn sie einen Doktortitel hat); die Indianer lachen zuviel; der Laptop für die wissenschaftlichen Untersuchungen ist zu Toshiba; die Froschperspektive, aus der die urwaldfressenden Bulldozer aufgenommen werden, ist zu plump; der Pferdeschwanz des Helden stammt aus Highlander; der Medizinmann ist zu weise, und der Held trinkt zu demonstrativ seinen „Urwald-Pernod“, was uns sagen soll, daß er ein schlimmes Erlebnis vergessen möchte. Wer so viele Klischees in einen Film quetscht, hat eine Lücke zu schließen. Das ist bei solch einem großen Thema von äußerster politischer Brisanz verwunderlich.

Der Anspruch, aufzuklären und zu sensibilisieren, ist offenkundig nicht tragfähig genug für anderthalb Stunden Kino. Denn zu erklären gibt es beim Thema Regenwald im Grundsatz nichts. Jeder weiß um die Katastrophe mit den obligatorisch unabsehbaren Folgen. Man könnte höchstens die Betroffenheit steigern. Dafür muß ein Film sich aber grundlegend von der Werbung unterscheiden. Er müßte die eingefahrenen Klischees verlassen und mehr sein als die „cineastische Entsprechung eines Big Mac mit einer großen Pommes“ (frei nach Stephen King). Wenn Rambo demnächst in diesem Kino mit seiner Panzerfaust im Dschungel aufräumt, so wird das dem Regenwald so viel nützen, wie seine Filmeinsätze vor Jahren dem afghanischen Volk halfen.

Unterm Strich sagt das ganze Kino-Barock der Hollywoodeske über die „letzten Tage von Eden“: Alles kann für uns so bleiben, wie es ist, und wir retten trotzdem nebenher den Regenwald — irgendwie, und ohne die Popcorntüte aus der Hand zu legen. Das sagt uns augenzwinkernd auch der ökobewegte Ex- Bond. Bei der 'Bild‘-Redaktion in Hamburg mahnte er: „Die Vernichtung des Regenwaldes betrifft die ganze Welt.“ Um das zu deklamieren, war er extra mit seinem Privat- Jet aus Marabella (Spanien) angereist.

Was soll der Regenwald — im Holly-Wood stehen ja auch keine Bäume mehr.

Der Film macht so ästhetisch dasselbe wie die Politik. Beide versprechen uns die ökologische Revolution ohne bedeutende Veränderung unseres Lebens. So droht das Regenwald- Agitprop nur zum schillernden Prolog einer höchstwahrscheinlich zum Scheitern verurteilten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio zu werden. Im Sommer wird politisch über den Regenwald entschieden. Am meisten Aussichten hat ein Wiederaufforstungsprogramm, das heißt: dieselbe Biomasse bei drastisch verminderter Artenvielfalt.

Wer meint, die Schwierigkeiten von Medicine Man seien ein Kitsch- Phänomen, irrt. Im kürzlich erschienenen Roman von Jenny Diski Der Regenwald wird auch nur geschildert, wie die weiße Hauptdarstellerin vergeblich versucht, ein inneres Verhältnis zum sterbenden Riesen Tropenwald aufzubauen: Als Wissenschaftlerin kann sie mit ihrer Rationalität nicht in ihn eindringen, und als Frau kann sie sein Eindringen in sich nicht ertragen. Das ist sicher ästhetisch befriedigender, dafür resignativ. Bei aller Skepsis gegenüber den zitierten Versuchen zum Regenwald darf man eines nicht vergessen— die übergroße Mehrzahl der Filme und Bücher beschäftigt sich bisher so gut wie gar nicht mit diesem Thema.

Politik, Literatur und Film tun sich mit dem Thema gleichermaßen schwer. Im Moment scheint es nur ein „wirksames“ Instrument im Umgang mit dem Regenwald zu geben — die Kettensäge.

Der Kitsch übersetzt das Regenwaldproblem, indem er es in gängige Klischees verwandelt, und erreicht nichts. Die höhere Literatur bekennt sich dazu, das Phänomen Regenwald nicht zu verstehen. An eines können beide bei ihrer Kundschaft nicht appellieren: an Respekt vor der Natur ohne engeren Eigennutz und an die Bereitschaft zur Bescheidenheit in der eigenen Lebensweise. Darum laufen sie leer. Ein Menschheitsthema als weißer Fleck. Montag ist Kinotag. Ich empfehle Star-Trek VI, die ultimative und endgültige Auflösung des Ost-West-Gegensatzes im Hyperspace. Da weiß man, was man hat. Bernd Ulrich

Der Autor lebt als freier Journalist in Köln.