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Potsdamer Landtag zum Fall Just

■ Brandenburgische CDU scheitert mit dem Versuch, Justizminister Bräutigam wegen der Affäre Just zum Rücktritt zu zwingen/ Vergangenheitsbewältigung nur am Rande

Potsdam (taz) — Bis tief in die Nacht zum Donnerstag debattierten die Abgeordneten des brandenburgischen Landtags in einer Sondersitzung in Potsdam hitzig und kontrovers den „Fall Gustav Just“. Die CDU hatte den Rücktritt des brandenburgischen Justizministers Hans Otto Bräutigam (parteilos) gefordert, weil dieser bereits 1990 über die Vorwürfe gegen Just informiert war, sein Wissen aber verschwieg. Mit 53 Stimmen der regierenden Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90 gegen 24 Stimmen scheiterte ein Mißtrauensvotum der oppositionellen CDU gegen Bräutigam. Fünf PDS-ParlamentarierInnen enthielten sich der Stimme. Die CDU hält weiter an der Rücktrittsforderung fest.

Das klare Abstimmungsergebnis gibt jedoch keineswegs die Verunsicherung, die Empörung und die Relativierungsversuche wieder, die die fast dreistündige Debatte prägten. Die CDU hatte die Sondersitzung beantragt. Nicht die Auseinandersetzung mit den „Kriegsverbrechen“ Justs, wie ein CDU-Abgeordneter sie ausdrücklich bezeichnete, stand im Zentrum der Debatte, sondern der politische Umgang aller Beteiligten mit dem Fall. Dem brandenburgischen SPD-Vorsitzenden Steffen Reiche warf Diestel vor, sich bei der öffentlichen Aufarbeitung der Vorwürfe gegen Just „unwürdig“ verhalten zu haben. Reiche erwiderte ähnlich indifferent wie schon in den vergangenen Tagen, viele tausend Deutsche hätten während der Nazi-Zeit kaum anders gehandelt als Just, und nicht wenige — dies als Seitenhieb auf Filbinger und andere — seien gleichwohl ohne Bruch in ihrer Biographie in hohe politische Ämter aufgestiegen. Offenkundig bleibt in der SPD der Zwiespalt zwischen teilweise sehr weitgehendem Verständnis für „die deutsche Biograhie“ Justs, Sympathie für den ehemaligen Kollegen und Achtung vor einem Opfer des Stalinismus auf der einen und der politischen Notwendigkeit seines Rücktritts auf der anderen Seite.

Wolfgang Pohl vom Bündnis 90 kritisierte die „politische und moralische Instinktlosigkeit“, mit der die SPD auf die Vorwürfe gegen Just reagiert habe. Sie habe damit verhindert, daß der Schaden am Ansehen des Parlaments so gering wie möglich habe gehalten werden können. Ähnlich die PDS: Regierung und SPD hätten politisch versagt, da sie — trotz besseren Wissens — das Parlament nicht rechtzeitig über Justs Vergangenheit informiert hätten. Empört äußerte sich die brandenburgische Bildungsministerin Marianne Birthler vom Bündnis 90, daß Just ausgerechnet in dem Ausschuß, der die neue brandenburgische Verfassung erarbeitet und in dem Demokratie und Menschenrechte eine wesentliche Rolle spielen, den Vorsitz führen konnte.

Einig waren sich SPD-Abgeordnete, FDP- und Bündnis 90-VertreterInnen aber in ihrer Kritik an der CDU, der sie vorwarfen, den „Fall Just“ parteipolitisch auszuschlachten und den Justizminister zum Rücktritt zwingen zu wollen. Manfred Stolpe stellte sich ausdrücklich vor seinen Minister. Er sei zweimal von Bräutigam informiert worden und habe keinen Grund gehabt, sich nach weiteren Details zu erkundigen. Erst in den letzten Tagen sei ihm der ganze Umfang der Vorwürfe gegen Just bekannt geworden. Persönlich, so Stolpe bezweifle er die „Schuldigkeit“ Justs nicht.

Bräutigam hatte im April 1991 entschieden, Justs Immunität nicht aufheben zu lassen, da eine Strafverfolgung wegen Verjährung nicht mehr möglich sei. SPD, FDP und Bündnis 90 bescheinigten dem Minister, sich juristisch korrekt verhalten zu haben. Auch dies bezweifelt die CDU. Auf Nachfrage eines Abgeordneten konnte Bräutigam nicht ausschließen, daß in einem seiner Gespräche mit Stolpe das Wort „Kriegsverbrecher“ gefallen sei. Wenn Bräutigam das Parlament rechtzeitig informiert hätte, wäre Just zumindest nicht Vorsitzender im Verfassungsausschuß geworden. Indirekt räumte die Regierung so doch noch ein, den „Fall Just“ politisch nicht richtig bewertet zu haben. bm

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