Eine West-West-Debatte um Ost-Vergangenheit

Anläßlich der Einsetzung einer Enquete-Kommission zur DDR streitet der Bundestag um Honecker in Bonn  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

„Es geht also darum, bewußt, differenziert, sensibel, gerecht und verständnisvoll den Blick zurückzuwenden, damit wir Zukunft gewinnen können.“ So will Rainer Eppelmann, CDU, die Arbeit der künftigen Enquete-Kommission mit dem vorläufigen Titel „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur“ verstanden wissen. Der Pfarrer aus der DDR- Opposition soll Vorsitzender dieser Kommission werden und eröffnete deshalb die gestrige Bundestagsdebatte zum Thema.

Doch nicht jeder Parlamentsredner wurde Eppelmanns hohen Maßstäben — bewußt, differenziert, sensibel — gerecht. Der Kanzler jedenfalls reagierte nicht nur mit deutlicher Unruhe, sondern gleich mit einer Wortmeldung auf Willy Brandt, der als erster für die SPD sprach — und unversehens entwickelte sich eine west-westliche Streiterei über die Entspannungspolitik.

„Legendenbildung“ vermutete Helmut Kohl, denn Brandt hatte in seiner Rede nicht nur die sozialdemokratische, sondern auch die christdemokratische Deutschlandpolitik angesprochen. „1987 war man noch nicht so schlau wie 1989“, so Brandt, „sonst wären die Aufmerksamkeiten für den Staatsratsvorsitzenden der DDR vermutlich bescheidener ausgefallen. Doch, damit wir uns nicht mißverstehen, ich war für jenen Besuch, und er hat dem Besucher mehr Probleme bereitet als vom Hals geschafft.“ Für den Kanzler war damit ein offenbar schwer erträgliches Reizthema angesprochen.

Es habe für ihn zu den schwierigsten Dingen gehört, daß der Besuch so ablaufen mußte, aber sonst wäre er nicht zustande gekommen. Er habe das klare Ziel verfolgt, die Mauer durchlässiger zu machen. Schließlich habe er in Anwesenheit von Honecker sagen können, daß die Mauer fallen muß. Kohl abschließend: „Daran habe ich, Kollege Brandt, immer geglaubt.“

Nach Freimut Duve (SPD), der Respekt für die Union äußerte, weil sie sich schließlich doch noch in die Kontinuität der Entspannungspolitik gestellt hat, sah sich Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble herausgefordert. Es bliebe der Unterschied, so Schäuble, „daß die Union am Ziel der Einheit in Frieden und Freiheit festgehalten hat, was für Ihre Fraktion vielleicht nicht in gleicher Weise galt.“ — Erheblicher Unmut bei der SPD.

Dieser Streit um die Entspannungspolitik überlagerte die anderen Themen der zukünftigen Kommissionsarbeit, zu der eigene Anträge der SPD, der Koalition, von Bündnis 90 und PDS vorlagen. Die „weltpolitische Dimension“, die das zukünftige Kommissionsmitglied Gerd Poppe (Bündnis 90) im Zusammenbruch der SED-Herrschaft und des sowjetischen Imperiums sah, schien in der Bundestagsdebatte nur selten auf.

Trotz jeweils eigener Anträge hatten sich alle Fraktionen im Vorfeld bemüht, parteitaktische Kleinlichkeiten bei der Konstituierung der Enquete zu vermeiden, durchaus mit Erfolg. Ein interfraktioneller Antrag regelt die Besetzung, die Enquete-Kommission selbst soll aus den inhaltlichen Anträgen bis zum Mai eine gemeinsame Vorlage entwickeln. In der Kommission arbeiten sieben Mitglieder aus der Union, die fünf Sachverständige benennen darf, fünf Mitglieder und drei Sachverständige für die SPD, drei Mitglieder und ein Sachverständiger aus der FDP. Bündnis 90 und PDS sind mit je einem Mitglied vertreten. Das Bündnis 90/Die Grünen wird, anders als anfänglich vorgesehen, auch einen Sachverständigen benennen. Die Namen der Kommissionsmitglieder und Sachverständigen stehen noch nicht alle fest.

Für die Union wird neben Rainer Eppelmann die ehemalige Ministerin für Gesamtdeutsches, Dorothee Wilms, für die SPD Markus Meckel und Rolf Schwanitz (beide aus den neuen Bundesländern) in die Enquete gehen. Gerd Poppe wird das Bündnis 90 vertreten.

Bis 1994 werden sich die Mitglieder und Sachverständigen mit den Macht- und Herrschaftsstrukturen des SED-Staates beschäftigen. Sie soll Vorschläge zur politischen, moralischen und juristischen Bewältigung und Empfehlungen für Gesetzesinitiativen entwickeln.