Eine einsame Seelenschau

■ Die »Beckett-Trilogie« in der Freien Volksbühne zeigt Theater bester Machart

In den Stücken Samuel Becketts geht es immer um Menschen, die in extremen Situationen außerhalb der Gesellschaft vegetieren. Es sind einsame Menschen, die sich, hilflos in diese Welt geworfen, nach dem Woher und Wohin fragen und sich auf die Suche nach dem Warum begeben, ohne jemals eine Antwort auf diese Fragen zu finden.

In Warten auf Godot schlagen Wladimir und Estragon die Zeit tot, um das Erscheinen eines Herrn mit Namen Godot zu erleben, ohne daß dieser jemals auftaucht. Wie zwei Kinder tasten sie verloren in der Dunkelheit nach einer rettenden Hand, die nie da sein wird. In Das letzte Band läßt ein krächzender Greis seine Lebenserinnerungen, die er vorsorglich auf Tonband aufgenommen hat, Revue passieren. Gnadenlos spult er das Bandgerät immer wieder zu einer einzigen Stelle. Es ist die Aufzeichnung einer Begegnung, der Begegnung mit den Augen einer Frau, die verpaßte Chance der Liebe. Seine Lebenserkenntnisse und sonstigen Erinnerungen scheinen wertlos gegen diesen Moment, wo er in den weiblichen Augen die gesamte Welt erblickte, aber unfähig war, diese Liebe geschehen zu lassen. Selbstzufrieden genießt er den Schmerz. Die Hauptpersonen im Endspiel heißen »Hamm« und »Clov«. Hamm ist blind und kann nicht gehen, Clov kann zwar sehen, sich aber nicht mehr setzen. Beide sind unlösbar in einer Art von Symbiose miteinander verkettet. So wartet man auf das Ende des Lebens, das ja kommen muß und vertreibt sich die Zeit mit Spielen. Die Eltern von Hamm leben in Mülltonnen und darben dort für den Augenblick, da sie weggeworfen werden. Das Leben als Spiel, durch die Zeit beendet.

Auf dem Parkdeck der Freien Volksbühne steht eine mit Grafitti bemalte graue Mauer, ein abgestorbener Baum und ein Autoreifen. Aus den Lüftungsschächten steigt der Rauch auf, und der steinerne Boden ist naß und voller Pfützen. Michael Altmann als Estragon und Heinz- Werner Kraehkamp als Wladimir spielen, unterstützt von Thomas Hodina als Pozzo und Ernest Hammer als Lucky, Warten auf Godot. Anrührend, mitreißend und voller Slapstick zeigen sie in diesem vielgespielten Stück bewundernswertes handwerkliches Können und eine eindrucksvolle Darstellung dieser verlorenen Seelen.

Danach führt Michael Altmann unter der Regie von Gabriele Jakobi und in einem schwarzen Bühnenbild mit messerscharfem Licht die letzten Erinnerungen des Herrn Krapp auf Tonband vor. Konzentriert, gebrochen und mit Liebe zum Detail entfaltet sich das Bild eines nicht gelebten Lebens. Im Endspiel schließlich spielt Heinz-Werner Kraehkamp clownsek den Diener Clov, wähend Michael Altmann wehklagend und despotisch den blinden Hamm verkörpert. Thomas Hodina und Barbara Morawiecz wirken als Eltern in den Mülltonnen wie Relikte einer vergangenen Zeit, die mit einem Atomkrieg endete. Die Bühne (Fred Berndt) besteht hier aus einer hohen Holzwand mit Guckschächten, in deren Mitte der Stuhl des Hamm wie ein Thron wirkt.

Die Regie von Fred Berndt und das Duo Michael Altmann und Heinz-Werner Kraehkamp erreichen in ihrer Inszenierung eine kaum zu übertreffende Intensität. Diese hier vorliegende Theaterarbeit gehört zum Besten, was in den letzten Jahren in den Theatern Berlins produziert wurde. Sollte auch die Trilogie als Ganzes mit ihren über sechs Stunden Spieldauer für den einzelnen Zuschauer zu lang erscheinen, so ist doch jeder Teil für sich genommen absolut empfehlenswert. Denn dieser Abend zeigt nicht nur Beckett, sondern auch Theater in purer Form und bester Machart. York Reich

Heute und morgen: Warten auf Godot um 20.30 Uhr in der Freien Volksbühne, Schaperstr. 24, Tiergarten