Vom partiellen Verschwinden der Wirklichkeit

■ Die Galerie Bodo Niemann zeigt »Real Visions Photography«

Man muß sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet.« Inzwischen scheint es für diese Aufforderung Cezannes bereits zu spät. Die Postmoderne hat die Ästhetik des Verschwindens bereits zur Tatsache gemacht. Wie der Fotograf auf den Verlust seines Rohstoffes Wirklichkeit reagiert, kann man jetzt in der »Galerie Bodo Niemann« erfahren. Die Sicht der vier vorgestellten US- Fotografen, alle um die Fünfzig, auf die verbleibenden Oberflächlichkeiten kommt dabei jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Joe Deals schwarzweiße Quadrate halten das fest, was man traditionell »Landschaft« genannt hätte, gäbe es in ihnen noch so etwas wie Natur. In der Serie Beach Cities kann man nur noch von einer gesichtslosen Topographie reden. Zu sehen sind jene trostlosen Territorien, derer sich die amerikanische Middleclass mit Sonnenschirm, Caravan und Hotelbauten bemächtigt hat, um hier am Strand die Natur zu erleben, die sie gerade im Begriff ist, allein durch ihre Anwesenheit zu zerstören. Deal hat das durchweg aus einer merkwürdig distanzierten, erhöhten Position aufgenommen. Mit dem Interesse eines Insektenforschers sieht man auf die Menschen herab, wie sie verloren in diesem Niemandsland verteilt sind — die Fotos zeigen keinen Horizont.

Schlimmer noch ist die Erde in Deals ebenfalls Anfang der achtziger Jahre entstandener Serie The Foult Zone geschunden. Er zeigt hier mit unerbittlich detaillierter Schärfe Ansichten aus der kalifornischen Erdbebenzone. Hier gibt es nichts zu sehen. In der Sprache der Immobilienbranche heißt das Gebiet deshalb schlicht die »fehlerhafte Zone«. Dieses »waste land«, dieses verlorene Land, besteht aus nichts anderem als aus Geröllhalden, Schutt und Wüste, hier und da aus Rudimenten menschlicher Zivilisation, einer Straße oder einer zerbröckelten Mauer. Nur selten ist Leben auf den Bildern zu sehen. Eine dieser bizarr geformten Halden ist durch Gras und Busch zurückerobert worden.

Ganz ähnlich präsentiert auch Lewis Baltz von einer Landschaft, wenn sie den menschlichen Verwertungsinteressen unterworfen wird. Der Titel für sein aus 36 kleineren Schwarzweiß-Formaten bestehenden Tableaus entpuppt sich als pure Ironie. Park City heißt die irgendwo im mittleren Westen aufgenommene Investitionsruine. Aus der Distanz wie aus der Nähe — nichts als die Spuren der Leere. Leere, unfertige Häuser auf einer plattgewalzten Fläche — nur fern im Hintergrund die schneebedeckten Berge.

William Eggleston dagegen nähert sich vornehmlich mit den Mitteln von Farbe und Ausschnitt seinem Thema: der amerikanischen »middle-class« Suburbia aus Supermarkt, Vorgarten und Parkplatz. Mit absichtsvoll gedämpften Tönen bringt er seine wie zufällig wirkenden Ausschnitte ins Bild. Doch die fehlende Orientierung, die den Bildern sorgsam einkomponiert worden ist, hat Methode. Nie gibt es ein wirkliches Bildmotiv; Hauptsächliches und Nebensächliches sind ununterscheidbar geworden. Ins Bild kommt das Banale und Identitätslose, das nivellierte Mittelmaß einer ereignislosen, domestizierten Welt.

Am augenfälligsten sorgt Robert Cummings für die Erkenntnis, daß sich das Wirkliche nicht mehr zu erkennen gibt. Cummings begab sich an Orte, an denen daran gearbeitet wird, diese Wirklichkeit verschwinden zu lassen, um sie anschließend als Wirklichkeitssimulation wiederauferstehen zu lassen. Eines dieser großformatigen Farbfotos zeigt allerlei technisches Gerät: ein Gewirr von Halterungen, Drähten, Röhren, Plastikstreifen mit der Aufschrift »Danger«; das Ganze ist offenbar gefährlich. Warum? Um was handelt es sich überhaupt? Was das Bild nicht erkennen läßt, bekommt erst mit der schriftlichen Information im unteren Bildrand seinen Sinn: »Alcator (Plasma Fusion Experiment)«; es folgen Ort und Zeit sowie die Signatur des Künstlers.

Auf einem anderen Foto sieht man kubische Körper, metallene Zylinder, Goldfolie und Kabel. Was aber bedeutet diese Figuration? Keine Symboltheorie kann hier helfen: das ehedem göttliche Gold erscheint hier als reine technische Notwendigkeit. Das Bild ist ein Rätsel, eine Oberfläche ohne Physiognomie. Rettung verspricht einzig die sprachliche Verankerung in der Bildunterschrift: »Satellite«. Der Fotograf, also der Sammler von Wirklichkeitsabbildern, befindet sich seit Beginn des Computerzeitalters in dem Dilemma, Dinge abzubilden, die so gut wie nichts mehr über sich aussagen. Denn das Äußere dieser postmechanischen Apparate verrät nicht das Geringste über ihr Programm.

Als Fazit der Ausstellung — die übrigens auch einem Museum gut angestanden hätte — steht ein Paradox: als Fotograf kann man nur noch zeigen, daß es nichts mehr zu zeigen gibt. Aber auch das kann man natürlich unterschiedlich gut machen. Dem amerikanischen Quartett jedenfalls gelingt es mit Stil. Ronald Berg

Galerie Bodo Niemann, Knesebeckstraße 30, Charlottenburg, Di.—Fr. 12—18 Uhr, Sa. 11—14 Uhr, bis 4.April