Ganz Berlin ist ohne Fahrplan

■ Die BVG-Fahrgäste sind empört über häufige Verspätungen und Fahrplanänderungen

Es ist erst Viertel vor acht Uhr morgens, und Heike W. rauft sich schon die Haare. Sie ist sehr wütend. Zum fünften Mal in den letzten drei Wochen hat sich ihr Bus verspätet. Zum fünften Mal steht sie jetzt an der Jannowitzbrücke und hat die S-Bahn Richtung Schöneweide verpaßt. Zum fünften Mal wird sie zu spät zur Umschulung kommen. Ihre Entschuldigung: »Der 142er Bus fährt morgens immer so unregelmäßig, da habe ich den Anschluß an die S-Bahn verpaßt«, wird dort nicht mehr als besonders originell empfunden. »Die gucken mich schon ganz blöd an«, beschwert sie sich. Abgesehen davon, daß sie selbst nicht gerne den Anfang des Unterrichts verpaßt, wird ihre westliche Dienststelle von ihrem häufigen Zuspätkommen erfahren. »Womöglich mahnen die mich noch ab«, fürchtet sie.

Wie viele andere Leidensgefährten auch — rund 2.600 BVG-Kunden im Jahr — hat Heike W. einen Beschwerdebrief an die Verkehrsbetriebe geschrieben. »Über Verspätungen ärgern sich die BVG-Benutzer eigentlich weniger, die kennen ja den Verkehr und sind verständig«, weiß Dieter Thiel, Direktor der BVG-Verkehrsverwaltung. Neben dem Gedränge in U-Bahnen und Bussen wird in den Briefen hauptsächlich das verfrühte Abfahren an Anschlußstellen beklagt. Manchmal gehe einfach die Uhr eines Busfahrers falsch, manchmal wolle einer eben nicht warten und fahre früher los. »Schwarze Schafe gibt es halt immer«, so Thiel. Den Vorschlag von Heike W., daß der Busfahrer bei Verspätung eine Bestätigung für den Arbeitgeber abstempeln solle, hält er für »Unsinn«. Außerdem wissen sich die Dienststellen durchaus selbst zu helfen. Sie rufen einfach bei der BVG an und fragen, ob die Gründe für das Zuspätkommen des Arbeitnehmers denn stimmten.

Doch Heike W. ist mit ihrer Beschwerde keine nörgelnde Ausnahme. Unmut und Verärgerung vieler Fahrgäste gehen seit Anfang des Jahres über das normale Maß hinaus. Viele BVG-Kunden sind seitdem über verwirrende Fahrplanänderungen und eine Verschlechterung des Angebots verstimmt. Davon will BVG-Presseprecher Wolfgang Göbel aber nichts wissen. »Unser Standard hat sich nicht verschlechtert, obwohl wir dieses Jahr 150 Millionen Mark einsparen müssen. Wir sparen im Technik- und Planungs- Bereich. Wir haben zwar mit Kündigungen von Busfahrern zu kämpfen, aber jetzt fahren schon auf elf Linien private Reiseunternehmen. Die sind außerdem billiger«.

Norbert Gronau vom Berliner Fahrgast-Verband »IGEB« weiß da mehr über die Stimmung bei den BVG-Kunden, und »die ist ganz schlecht«. Bestimmt die Hälfte der Fahrgäste, die sich bei ihm über die BVG empörten, sei böse, weil sie sich zu wenig informiert fühlte. »Das ist allein Schuld der BVG und hat mit Einsparung nichts zu tun«, meint Gronau. Von den 1.000 Seiten des »neuesten« Fahrplans seien heute gerade mal 20 Seiten gültig.

Zu den »pausenlosen Fahrplanänderungen«, die oftmals erst dann bekannt gegeben werden, wenn sie bereits erfolgt sind und der erste Bus verpaßt ist, kommen die Umbenennung von Straßen und Bahnhöfen, die Streichung von Haltestellen und die Umverlegung von Fahrtrouten. »Seit dem 2.Januar geht alles durcheinander, die Anbindung der Verkehrsmittel untereinander hat sich verschlechtert. Besonders die Leute im Ostteil Berlins wissen nicht mehr, wann und wo ihr Bus oder ihre Straßenbahn abfährt. Ganz Berlin scheint ohne Fahrplan zu sein«.

Die zweite Hälfte der frustierten IGEB-Anrufer fordert mehr Platz in den Verkehrsmitteln. Im Westen betrifft das hauptsächlich die U-Bahnen, die seit der Maueröffnung 50 Prozent mehr Fahrgäste zu verkraften haben — bei gleichbleibendem Angebot an Zügen, wohlgemerkt. Erkennbare »rush-hours« gibt es hier nicht mehr. Die Menschen sitzen rund um die Uhr dicht gedrängt in ihren Verkehrsmitteln.

Im Ostteil Berlins sind das vorrangig die Straßenbahnen und Busse. »Wir haben die Hänger an den Trams deshalb reduziert, weil wir einen drastischen Rückgang der Ost-Fahrgäste, zu verzeichnen haben«, so BVG-Pressesprecher Göbel. Er glaubt, daß dieser Rückgang an der zunehmenden Motorisierung der Ostler und — bedauerlicherweise — an Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit liege. Insgesamt betrachtet sieht Göbel das Angebot der BVG ausreichend. »Nur«, findet er, »die Berliner sind so verwöhnt«. Sonja Striegl