Der Psychokiller als alter Hut

DERPSYCHOKILLERALSALTERHUT

Irgend jemand hätte Charles King vielleicht informieren sollen, daß die große Zeit der Psychokiller und Serienmörder die 80er Jahre waren. Oder wenigstens hätte man ihn darauf aufmerksam machen sollen, daß, wenn er unbedingt ein altes Thema für seinen Roman Mama's Boy noch einmal glaubte ausschlachten zu können, er sich zumindest eine originelle Variante hätte einfallen lassen müssen.

Das alles wurde leider versäumt. Und so plünderte Mr. King ganz ungeniert die Psychothriller des letzten Jahrzehnts und zimmerte sich eine „eigene“ Geschichte zurecht: Ein irrer, aber hochintelligenter Serienmörder treibt wieder einmal sein blutiges Unwesen in den USA, selbstverständlich beschränkt er sich nicht auf einen einzigen Staat, sondern reist im ganzen Land herum. Natürlich tötet er auch nicht einzelne Personen, sondern schlachtet immer gleich ganze Familien ab. Wen dieses Szenario irgendwie an Thomas Harris, John Katzenbach oder ähnliche Autoren erinnert, der irrt sich nicht.

Charles King hat anscheinend alles gelesen, was die einschlägigen Autoren zu Papier brachten. Manchmal schreibt er ein bißchen wie James Ellroy, dann streut er, bei einigen Polizeiauftritten, eine Prise Joseph Wambaugh ein, und ganz peinlich wird es, wenn er den sechsjährigen Augenzeugen Winston auftreten läßt. Der Kleine hat das Massaker an seiner Adoptivfamilie überlebt und den Killer gesehen. Doch Winston hat einen Schock und gibt keinen Piepser von sich. Das ist ungefähr sechs bis sieben Seiten lang spannend, dann wird es öde.

Die Idee mit dem geschockten Bengel ist natürlich auch geklaut. Jonathan Kellerman hat sie schon des öfteren in seinen Krimis verwendet. Nur: Kellerman war Kinderpsychologe, bevor er Krimiautor wurde, und weiß ganz genau, worüber er schreibt. Charles King hingegen war Creative Director bei einer Reklameagentur und weiß vielleicht jede Menge über Werbespots, vom wirklichen Leben hat er jedoch nicht die geringste Ahnung — und vom modernen Thriller schon gar nicht. Sätze wie: „Die Mündung von Bumpus' Waffe kam hoch und richtete sich auf ihr Ziel — wie ein Penis im entscheidenden Augenblick“ kennzeichneten schon vor 30 Jahren einen miesen Krimi und tun es heute immer noch.(Droemer Knaur)