INTERVIEW
: Der Westen ist gefordert

■ Der Kurdenführer Massoud Barsani zur Lage im Nordirak, zu Saddam Husseins Politik und zur kurdischen PKK-Guerilla in der Türkei

Massoud Barsani, Vorsitzender der irakischen „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) führt gemeinsam mit Dschalal Talabani, dem Vorsitzenden der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK), die irakische Kurdistan-Front an. Auf Einladung des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Schnoor besuchte Barsani diese Woche Deutschland und führte in Bonn und Düsseldorf Gespräche mit Außenminister Genscher und anderen Bundes- und Landespolitikern.

taz: Herr Barsani, welche Art von Unterstützung erwarten die irakischen Kurden von Deutschland?

Massoud Barsani: Wir hoffen auf verstärkte humanitäre und wirtschaftliche, aber auch auf politische Unterstützung. Die Versorgungslage im kurdischen Nordirak ist wegen des anhaltenden Embargos durch das Regime in Bagdad dramatisch. Darüber hinaus sind die irakischen Kurden von den zunehmenden Angriffen der türkischen Luftwaffe auf vermeintliche PKK-Stellungen im Nordirak immer stärker betroffen. Eine wachsende Zahl von Flüchtlingen muß versorgt werden. Die Anwesenheit alliierter Truppen (zur Zeit US-Amerikaner, Briten und Franzosen, Anm. d. R.) im Süden der Türkei ist derzeit die einzige Abschreckung gegen die irakische Armee. Sollten diese alliierten Truppen, wie bisher vorgesehen, zum 30. Juni abziehen, rechnen wir mit offenen Angriffen irakischer Verbände. Das würde zu einem erneuten Massenexodus der Kurden aus dem Nordirak führen. Die türkischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, den Schutz zu gewährleisten. Die alliierten Soldaten müssen daher über den 30. Juni hinaus in der Region stationiert bleiben. Die westlichen Staaten haben da eine moralische und politische Verantwortung. Denn ohne die massive Unterstützung durch diese Länder hätte Saddam Hussein niemals seine Militärmaschinerie aufbauen können, mit der er uns heute bedroht. Mitterrand und Major haben mir erklärt, sie seien ebenfalls für einen weiteren Verbleib der alliierten Truppen. Vor einer entsprechenden Entscheidung bedürfe es allerdings noch Konsultationen mit Washington, innerhalb der EG und vor allem mit der Regierung in Ankara, die einem weiteren Verbleib der allierten Truppen in der Türkei zustimmen müßte. Wir hoffen, daß die deutsche Regierung ihren Einfluß auf Ankara nutzt, um eine entsprechende Zustimmung der Regierung Demirel zu erreichen.

Ihr kürzlicher Besuch in Ankara wurde als Annäherung zwischen der KDP und der türkischen Regierung gewertet. Doch seitdem gehen die türkischen Luftangriffe auf kurdische Gebiete im Nordirak verstärkt weiter.

Die Regierung in Ankara hat mir die Einstellung der militärischen Übergriffe auf nordirakisches Gebiet zugesagt. Leider hat sie sich nicht an dieses Versprechen gehalten. Auch internationale Beobachter haben festgestellt, daß es nicht die geringsten Hinweise auf Aktivitäten der türkisch-kurdischen PKK in den in jüngster Zeit bombardierten Gebieten gab. Wir verlangen, daß die Türkei diese Angriffe einstellt. Nur dann können unsere Leute, die aus den Gebieten entlang der dreihundert Kilometer langen Grenze mit der Türkei geflohen sind, sich wieder dort ansiedeln. Das würde die Sicherheit dieser Grenze auch für die Türkei verbessern.

Die urprünglich für den 5. April geplanten Wahlen im Nordirak für einen kurdischen Nationalrat und einen Präsidenten sind verschoben worden. Es gibt Informationen, wonach Talabani für einen Wahltermin erst im November plädiert hat.

Für die Verschiebung waren keine politischen Gründe, sondern ausschließlich technisch-logistische Schwierigkeiten ausschlaggebend. Schwierigkeiten, die durch die katastrophale Versorgungslage und die Bombardements der türkischen Luftwaffe noch verschärft werden. Ein Termin erst im November kommt nicht in Frage. Die Wahlen müssen auf jeden Fall rechtzeitig vor dem 30. Juni, dem möglichen Abzugstermin der alliierten Schutztruppen, erfolgen. Höchstwahrscheinlich werden sie am 26. April stattfinden.

Für die Wahl wurde eine Sieben- Prozent-Klausel vereinbart. Sollen die kleineren Organisationen innerhalb wie außerhalb der Kurdischen Front aus dem künftigen Nationalrat herausgehalten und dieser von Ihrer KDP und Talabanis PUK dominiert werden?

Eine Sieben-Prozent-Klausel wurde nicht vereinbart. Wir haben uns allerdings bei der Festlegung des Wahlrechts gegen das Verhältniswahlrecht (wie zum Beispiel in der BRD, Anm.d.R.) und für das Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster entschieden (das die großen Parteien begünstigt, Anm.d.R.)

Welche Aufgaben soll der Nationalrat haben, und bedeutet seine Einrichtung einen Schritt in Richtung eines unabhängigen kurdischen Staates?

Wir streben keinen unabhängigen kurdischen Staat an, sondern eine regionale Autonomie innerhalb der bestehenden Grenzen. Aufgabe des Nationalrates ist die Selbstverwaltung in allen Angelegenheiten mit Ausnahme der Außenpolitik, der Steuerpolitik und der Streitkräfte. Diese drei Bereiche verbleiben weiterhin bei der Zentralregierung in Bagdad. Wobei wir den Vorbehalt machen, daß Angehörige aller Volksgruppen im Irak, also auch Kurden, zu den Streitkräften zugelassen werden müssen.

Welche Rolle wollen Sie nach der Wahl spielen?

Ich selber kandidiere für das Amt des Präsidenten.

Im letzten Jahr haben Sie und Talabani lange mit dem Regime in Bagdad verhandelt. Wollen Sie diese Verhandlungen wieder aufnehmen, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Offiziell sind diese Verhandlungen nie beendet worden. Sie wurden lediglich unterbrochen durch das Embargo Bagdads gegen die kurdischen Gebiete. Wenn dieses Embargo aufgehoben wird, sind wir bereit, weiter zu verhandeln. Darüber besteht auch Konsens mit Talabani.

Einer der wichtigsten und schwierigsten Verhandlungspunkte im letzten Jahr waren die Ölvorkommen im Nordirak, vor allem in Kirkuk. Was fordern Sie konkret?

Wir verlangen nicht die Kontrolle über die Ölfelder oder gar, daß sie in unseren Besitz übergehen. Bagdad muß uns einen fairen Anteil an den Erlösen aus dem Verkauf des dort geförderten Öls geben.

Bei Ihrem Besuch in Ankara sollen Sie türkischen Medienberichten zufolge die Verhältnisse in den kurdischen Gebieten der Türkei als „demokratisch“ bezeichnet haben. Die PKK hat Ihnen daraufhin Verrat an den türkischen Kurden vorgeworfen. PKK-Chef Abdullah Öcalan hat Sie und Talabani als „Feudalkollaborateure“ bezeichnet. Halten Sie die Verhältnisse in Türkisch-Kurdistan tatsächlich für demokratisch?

Die Verhältnisse haben sich verbessert, aber sie sind weiterhin verbesserungswürdig. Ich bin im Übrigen von den türkischen Medien vielfach falsch und entstellend zitiert worden.

Gibt es überhaupt noch gemeinsame Interessen zwischen der PKK und der Kurdischen Front im Irak?

Nein. Die PKK ist terroristisch und extremistisch. Ihr Chef Öcalan ist wie Idi Amin. Wir lehnen die Methoden der PKK ab. Die KDP hat Terrorismus immer verurteilt. Wir können unsere Ziele nicht mit gewaltsamen Methoden erreichen.

Wie ist das Verhältnis der KDP zu den Kurdenorganisationen in Syrien und dem Iran?

Die Beziehungen sind sehr gut. Wir arbeiten auf vielen Gebieten zusammen.

Interview: Andreas Zumach