Der erste Kranz kommt immer vom Mörder

Der Mord am Europaabgeordneten und Andreotti-Vertrauten Salvo Lima hat mehr von einer Geheimdienstaktion denn von mafioser Kriminalität/ Die politische Konsequenz des Schlages trifft Ministerpräsident Andreotti/ Politsatiren um das Begräbnis  ■ Aus Palermo Werner Raith

Staatspräsident Cossiga war der erste, der sich zum Begräbnis ankündigte: als der Chef der Kripo am Donnerstagmorgen von der Ermordung des christdemokratischen Europaabgeordneten Salvo Lima in Palermo erfuhr, ließ er aus dem fernen Brüssel die „ganz selbstverständliche Pflicht“ vernehmen, der Trauerfeier beizuwohnen.

Doch dann war er auch der erste, der wieder absagte: angeblich war ihm klargeworden, daß seine Präsenz just neben dem von ihm derzeit meistgescholtenen Politiker des Landes, Regierungschef Andreotti, „Anlaß zu neuen Polemiken und Mißverständnissen geben könne“; zudem fragten sich die Italiener, warum die Idee zur Beileidsvisite tags zuvor nicht auch gekommen war, als bei Neapel ein Stadtrat der „Demokratischen Partei der Linken“ — ehemals KP — und kurz darauf in Mailand ein mittelständiger Unternehmer durch kriminelle Banden umgebracht worden war.

Tatsächlich hatte die Absage des Staatspräsidenten wohl einen anderen Grund, der auf den ersten Blick eher lächerlich wirkt: im Rundfunk und im Fernsehen, aber auch im Beraterzimmer hatten immer mehr Italiener den Staatschef an ein altes sizilianisches Sprichwort erinnert: danach kommt nach einem Mafia- Mord der erste Kranz immer vom Mörder. Und da die Insulaner bei solchen Anlässen schon mal zum Münzenwerfen (als Zeichen für Korruptionsverdacht) und Bespucken neigen, hält sich der oberste Verfassungshüter nun doch lieber ferne.

Tod eines „Unberührbaren“

Die eher levantinische Episode weist freilich auf Hintergründe anderer Art hin, die den Mord über das rein kriminalistische Politikum während des laufenden Wahlkampfes (Wahltermin: 5. und 6. April) machen. Nur wenige Experten glauben bei einem Mord in dieser hohen Politetagean eine rein mafiainterne Abrechnung, wie die Sicherheitsminister (Inneres und Justiz) und ihre jeweiligen Sprachrohre im staatlichen Rundfunk RAI behaupten. Allzu vieles „stimmt nicht zusammen“, wie Generalstaatsanwalt Giammanco aus Palermo sofort und zum Verdruß der römischen Interpreten schon wenige Stunden nach Rekonstruktion des Mordes feststellte.

Daß Lima zu den schillerndsten Persönlichkeiten Italiens gehörte, ist unbestritten; daß er in unzählige Mafia-Verfahren verwickelt war und ihnen stets nur aufgrund seiner seit den sechziger Jahren ununterbrochen gehaltenen parlamentarischen Immunität (zuerst in Rom, dann in Straßburg) entrinnen konnte, ebenso. Daß er der Hauptverwantwortliche für den „Sacco di Palermo“ war, der Ausplünderung Palermos durch Bauspekulation und Mißwirtschaft in den sechziger und siebziger Jahren — teils als Urbanistik-Dezernent, teils als Bürgermeister) war, unterliegt ebenfalls keinem Zweifel. Auch fallen in seine Zeit die ersten großen „Mafia-Kriege“ um Baukonzessionen und die ersten politischen Delikte wie die Ermordung des Generalstaatsanwaltes Scaglione. Ebenfalls klar ist, daß Lima seit eh und je der Statthalter des derzeitigen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti innerhalb der Insel-DC war und daß er sein Mandat in Straßburg und Brüssel vor allem dazu benutzt hat, große Geldströme auf die Insel zu leiten, wo sie zum größten Teil in der Klientel Andreottis und der Seinen verschwanden.

Doch gerade, weil Lima zu den „Unberührbaren“ gehörte, den mächtigsten Männern der Insel, und sich des Schutzes der wichtigsten Clans aus Palermo und der Mafia- Hochburg Corleone erfreute, kommen massive Zweifel an einer reinen Mafia-Aktion auf. Die Ermordung des höchsten Repräsentanten des „politischen Armes“ der sizialianischen Dunkelmännerschaft hätte nur im allerhöchsten Mafia-Gremium beschlossen werden können — und da hat Limas Schützerschar noch immer ihre Finger drin. Zudem muß ein derartiger Mord natürlich eine geradezu hektische Polizeipräsenz auslösen — was den derzeit sowieso durch eine neue, entschieden antimafiose Rechtsprechung gebeutelten Clans auf der Insel gar nicht zupaß kommen kann.

Der Schlag gilt Andreotti

Innenminister Vincenzo Scotti (DC) und Justizminister Claudio Martelli (Sozialistische Partei) meinen, die Mafia ermorde nun hochrangige Politiker, weil sie sich durch die neue Entschiedenheit des Staates an die Wand gedrängt fühlt; doch diese Deutung hält nicht sonderlich gut: da hätte die Mafia einen entschlossenen Mafia-Gegner aufs Korn nehmen müssen, nicht einen, der eher als Mafia-Kungler gilt.

So macht der Mord nur einen einzigen Sinn: der Schlag gilt seinem eigentlichen Chef, Ministerpräsident Andreotti. Und der ist sich, sieht man das erstmals überaus ratlose Gesicht des alten Stehaufmännchens, absolut darüber klar, was diese Bluttat bedeutet: das Ende seines Traumes, in der nächsten Legislaturperiode noch eine entscheidende Rolle zu spielen, vielleicht gar seinen Lebenstraum zu erreichen und Staatspräsident zu werden: wer sich außerstande zeigt, seine Gefolgsleute zu schützen, hat ausgespielt. Der 72jährige hat das oft genug selbst betont.

So weisen für die Ermittler vor Ort denn auch mittlerweile immer mehr Anzeichen darauf hin, daß hier die Mafia eher als Deckschild herhalten mußte, das Attentat selbst aber in anderem Auftrag, vielleicht nicht einmal durch wirklich mit der Mafia verbandelte Killer ausgeführt wurde. Und in der Tat strotzt der Anschlag geradezu von „Killer-Dilettantismus“, wie ein Carabinieri- Oberst bei der Rekonstruktion zur taz sagte: So wurde Limas Wagen nicht etwa, wie dies für eine derartige Exekution üblich ist und in der verlassenen Gegend leicht möglich gewesen wäre, durch ein anderes Fahrzeug gestoppt, um den Mördern gutes Ziel zu geben; stattdessen umkurvte das Motorrad der Killer selbst den Opel Vectra Limas. Da sich so kein klares Ziel ergibt, schossen sie erstmal kräftig daneben — wobei sie, weitere Merkwürdigkeit, auch nicht die mafiaübliche, breitstreuende Kalaschnikow benutzten, sondern eine eher altmodische P 38 mit Einzelfeuer. Lima konnte sogar noch aus dem Auto aussteigen und davonlaufen — hätte sich nicht sein Mantel in der Autotür verfangen, wäre er vielleicht sogar entkommen.

Weitere Ungereimtheiten: die beiden Fahrbegleiter Limas, zwei Parteifreunde, sahen alles und blieben dennoch unbehelligt — im Gegensatz zur Praxis der letzten Jahre, wo auch zufällig vorbeikommende Zeugen niedergemäht wurden. Und dann fand man auch noch das Motorrad — wieder nicht, wie mafiaüblich, durch Anzünden für Ermittlungen unbrauchbar gemacht, dafür aber voller Fingerabdrücke. „So was“, sagt selbst der sonst zugeknöpfte ehemalige Oberermittler Giovanni Falcone, „ist uns in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr passiert.“

So liefen denn in den letzte Stunden die Drähte vor allem in einer Richtung heiß — zu den verschiedenen Geheimdienststellen in Rom. Zu gut ist vielen noch in Erinnerung, wie munter diese Stellen seit eh und je mitmischen, wenn es sich um zentrale politische Weichenstellungen handelt — speziell bei Wahlen ins Präsidentenamt; diese stehen Mitte des Jahres an und haben diesmal wegen einer großen Verfassungsreform mehr Bedeutung als die Parlamentswahl. Als sich zum Beispiel 1977 der Linkssozialist Francesco De Martino als aussichtsreichster Kandidat für die im Jahr danach fällige Wahl präsentierte, wurde sein Sohn entführt — und der Vater gezwungen, sich das notwendige Lösegeld von der damals noch nicht aufgeflogenen rechtsextremen Geheimloge „Propaganda 2“ zu pumpen und sich so erpreßbar zu machen. Aldo Moro, damals christdemokratischer Parteichef, erkannte sofort: „Die Entführung gilt der Präsidentschaft.“ De Martino zog sich zurück; danach wurde Moro selbst aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat — und kurz vor der Wahl gekidnappt, 55 Tage später ermordet. Wie sich herausstellte, hatten dazu zwar Rotbrigadisten als Werkzeuge gedient, doch den Großteil der Fäden zogen von Anfang an Geheimdienstler aus Rom, Washington und Tel Aviv.