INTERVIEW
: „Bosnien ist unteilbar“

■ Muhamed Cengic (Muslimane), Vizepräsident von Bosnien, ist gegen Kantonisierung

Obwohl neben den Kroaten auch Vertreter von Muslimanen dem von der EG in Brüssel vorgelegten Plan zur Kantonisierung der Republik zugestimmt hatten, gibt es auch in diesem Lager unterschiedliche Auffassungen. Der letztendlich von den bosnischen Serben abgeschmetterte Vorschlag der EG sieht eine Verfassung mit autonomen Kantonen für die in Bosnien lebenden Kroaten (17 Prozent), Muslimanen (44,5 Prozent) und Serben (31 Prozent) vor.

taz: In Sarajevo ist neben den ersten Blauhelmen gestern der Kommandeur der UNO-Friedenstruppen in Jugoslawien, Satish Nambiar, eingetroffen. Sind sie froh darüber?

Cengic: Mit der Ankunft der Blauhelme wird die spannungsgeladene Situation zwischen Serben und Muslimanen abgeschwächt, und je schneller die UNO in Sarajevo ihren Hauptsitz aufbaut, um so sicherer wird die Lage in Bosnien werden. Denn die „Serbische Demokratische Partei“ heizt die zwischennationalen Spannungen stets von neuem an...

Und was ist mit den kroatischen Politikern Bosniens?

Da gibt es mittlerweile leider auch zwei Strömungen. Die einen sind für Frieden, für ein freies Bosnien, die anderen fangen nun auch an wie die radikalen Serben, unseren Staat aufteilen zu wollen.

Dazu gesellen sich auch noch als dritte Gruppe islamische Fundamentalisten, militante Muslimanen, die sich in Kampfgruppen der „Grünen Barette“ formieren.

Nein, nein. Die Muslimanen sind sich im klaren, sie müssen mit Kroaten und Serben zusammenleben, nur so kann Bosnien ein Staat gleichberechtigter Bürger werden. Und die „Barette“ waren nur eine Erscheinung, eine Reaktion auf die Militanz gewisser serbischer Kreise.

In Sarajevo nehmen manche Politiker gerne die Idee von einem Volk der „Bosnjaken“ auf, gibt es ein solches Volk, oder sind es doch eben drei Völker, die Serben, Kroaten und Muslimanen, die zusammen als drei Staatsvölker in Bosnien leben?

Ich bin überzeugt davon, hätten sich die Einwohner im Nachkriegsjugoslawien als das Volk der Bosnjaken bekennen dürfen, sie hätten es getan. Aber die Kommunisten haben uns den Namen Muslimanen gegeben. Wobei nicht jeder Bosnjak ein gläubiger Moslem ist. Mir gefällt der Begriff Bosnjak besser, manch ein Bürger kroatischer oder serbischer Abstammung hätte sich in einem Vielvölkerstaat gleichberechtigter Republiken möglicherweise auch als Bosnjak definiert.

Nun spricht man von der Aufteilung Bosniens in nationale Kantone, Kantone die sich politisch noch ungebundener an eine Zentralregierung halten müssen als in der Schweiz.

Eines muß klar sein, Bosnien ist unteilbar. Ich war und bin ein Gegner jeglicher Art einer sogenannten Kantonisierung. Ganz Bosnien muß die Struktur eines einheitlichen Staates haben. Es kann nicht sein, daß auf seinem Territorium verschiedene Währungen im Umlauf sind, regional eigenmächtige Polizeikräfte, die nicht auf eine für alle verbindliche bosnische Verfassung hören.

Aber in Brüssel gab es doch schon mehrmals Verhandlungen zwischen Vertretern aller drei Völker Bosniens, wo man sich auf ein Konzept der Kantonisierung verständigte.

Man hat darüber gesprochen: Natürlich versuchen wir Auswege aus der national angespannten Situation zu finden. Aber bitte, es kann doch nicht angehen, daß etwas, was unter sechs, acht Politikern irgendwo in der Welt beratschlagt wird, ob in Lissabon oder Brüssel, dann politisch über den Kopf der betroffenen Menschen hinweg zur politischen Realität wird. Alle Fragen, wie Bosnien sich politisch strukturieren, wie der Staat Bosnien aufgebaut werden soll, kann nur das Parlament in Sarajevo entscheiden und sonst niemand auf der Welt — und in ganz wichtigen Fragen das Volk in einem Plebiszit. Wir hatten doch gerade eine Volksbefragung, in der sich die Mehrheit der Bürger Bosniens für einen souveränen Staat ausgesprochen hat. Mit einem Wort: Die Idee einer Kantonisierung verhindert nicht nur die Entwicklung Bosniens zu einem modernen europäischen Staat, sondern wirft unsere Republik ins Mittelalter zurück, in Zeiten unzähliger kleiner Fürstentümer. Interview: Roland Hofwiler