Energieschätze wie Sauerbier angeboten

Rußlands Regierung setzt bei Förderung ihrer Energievorräte auf Geld und Know-how aus dem Westen/ Export soll Devisen bringen/ Atomkraft seit Tschernobyl auch in GUS-Staaten desavouiert  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Timmendorferstrand (taz) — Rußland setzt künftig ganz auf den Abbau seiner nationalen Energierresourcen. Durch den Export von Öl, Gas und Kohle soll die wirtschaftliche Zukunft des Landes gesichert werden. Mit Hilfe westlicher Technologien, Joint-ventures und Konzessionsverträgen will die russische Regierung die Förderung der fossilen Energieträger ankurbeln. Der stellvertretende Energieminister Wladimir Dschangirow bot auf dem RWE- Energieworkshop in Timmendorferstrand ein halbes Dutzend Kohleabbaustätten wie Sauerbier für westliche Kooperationspartner an — darunter zwei Antrazitgruben im Rostowgebiet, einen Kohlebergwerkskomplex im Kusnezkbecken und zwei Abbaufelder in Jakutien. „Wir haben Möglichkeiten, wo Sie Ihre Begabungen zeigen können“, so Dschangirow zu den anwesenden Energiemanagern.

Der Minister zeichnete ein düsteres Bild der in den vergangenen Jahren vom Zerfall geprägten Energieindustrie, deren Produktionszahlen fast durchgängig rückläufig sind. Nur mit Müh' und Not habe das Land seine Stromexporte nach Finnland, Norwegen, Afghanistan und in die Mongolei aufrecht erhalten können. Die Kohle- und Erdölproduktion der ehemaligen UdSSR lag 1991 um 20 Prozent unter der von 1988. Im letzten Jahr habe das Land nur noch 642 Millionen Tonnen Kohle (davon 345 Millionen Tonnen in Rußland) und 518 Millionen Tonnen Erdöl gefördert, erklärt Dschangirow.

In der Umkehrung des negativen Trends sah der Vizeminister denn auch die Hauptaufgabe der künftigen russischen Energiepolitik. Ein Kooperationsabkommen mit dem deutschen Energieriesen RWE soll beim Identifizieren der größten Schwachstellen helfen. Ziele der angestrebten Zusammenarbeit seien insbesondere die Erschließung, Gewinnung und Vermarktung von Ölvorkommen, hieß es in der RWE-Presseerklärung. Der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Friedhelm Gieske, bekundete unumwunden sein Interesse an den russischen Ölvorkommen.

Während die früher festgelegte Maßnahmen zur Senkung der Energieintensität nicht verwirklicht werden, sollen laut Dschangirow die Investionen im Erdölbereich bis zum Jahr 2000 um 300 Prozent, im Kohle- und Erdgasbereich um 150 Prozent steigen. Alternativen zur Kohleindustrie fehlten; nach wie vor überträfen die Möglichkeiten der Energiegewinnung den Bedarf der russischen Republik um bis zu 40 Prozent, so der Vizeminister weiter.

Bohrlöcher sind zwar systemunabhängig, Energiesparkonzepte aber nicht. Gegenüber der taz räumte Dshangirow ein, daß die Energieeffizienz unter dem Übergang leide. Sein Land brauche neue Technologien, aber auch eine andere Preisgestaltung. „Der Energiepreis bei uns liegt noch erheblich unter dem Weltmarktpreis. Daher ist Strom kein großer Kostenfaktor, und es gibt keine Anreize zum Stromsparen in der Produktion.“

Um den Energiemangel im Westen Rußlands mit den reichen Enegiereserven Sibiriens zusammenzubringen, setzt die mit 17 Millionen Quadratkilometer Fläche größte GUS-Republik künftig auf den Ausbau des Eisenbahntransportsystems. Wenn es bei dem faktischen AKW- Moratorium bleibt, müssen in Zukunft bis zu 200 Millionen Tonnen Kohle jährlich von Sibirien in den europäischen Teil Rußlands geschafft werden. Künftig sollen dann über 40 Prozent des russischen Stroms aus Kohle erzeugt werden — heute sind es knapp 30 Prozent.

210 Milliarden Tonnen Kohle sind in Rußland bereits geologisch erkundet, davon der größte Teil östlich des Ural. Im Jahr könnten rund 150 Millionen Tonnen aus Gruben sowie etwa 200 Millionen Tonnen Kohle im Tagebau gewonnen werden. Der Tagebau soll trotz der auch von Dschangirow eingeräumten ökologischen Probleme weiter wachsen und einen noch größeren Anteil an der Kohleförderung Rußlands erhalten. Immerhin will man die Abbauflächen rekultivieren.

Weil die russische Kohle- und Ölförderung seit geraumer Zeit völlig aus dem Ruder gelaufen sind, soll eine stärkere Erdgasförderung die Engpässe überwinden helfen. Rußland verfügt nach Schätzungen über 260 Billionen Kubikmeter Gasreserven — das sind knapp die Hälfte der weltweit vorhandenen Gasvorräte. In den vergangenen Jahrzehnten hat die UdSSR nur zehn Billionen Tonnen Gas gewonnen; die Reserven reichen also noch lange Zeit.

Neben fossilen Energieträgern spielt die Atomenergie für die russische Stromversorgung eine gewichtige Rolle. Seit der Katastrophe von Tschernobyl ist die Atomkraft jedoch gründlich desavouiert. Im Augenblick bestehen zwar noch sieben AKW-Projekte, doch habe sich die Haltung der Menschen verändert, sagt Dschangirow. Die Zukunft der Atomkraft in den GUS-Staaten hänge von höheren Sicherheitsstandards ab. Doch der Vizeminister klingt dabei nicht zuletzt durch seine EG-Erfahungen wenig hoffnungsvoll. Die EG hatte in ihrem GUS- Hilfsprogramm 53 Millionen ECU für atomare Sicherheit eingeplant. Ein halbes Jahr wurden die Projektvorschläge zwischen Brüssel und Moskau hin und her geschoben. Jetzt hat man sich geeinigt — auf neue Sicherheitsstudien.