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Notwehr oder Mord?

■ Prozeß gegen die des Mordes an Sonntag angeklagten Zuhälter in Dresden

Dresden (taz) — Am Rande des ersten Verhandlungstages hatte der Vorsitzende der „Sächsischen Nationalen Liste“, Helmar Braun, beteuert, es werde während des Prozesses gegen die beiden des Mordes an ihrem „Vorkämpfer“ Rainer Sonntag angeklagten Zuhälter zu keiner Randale kommen. Abgesehen von einigen Zwischenrufen hielten sich die Dresdener Rechten bisher an diese Parteilinie. Offenbar steht für sie einiges auf dem Spiel. Braun erklärte, daß er mit dem Bundeswahlleiter wegen der Legalisierung seiner im September im Beisein der Neonazi-Größen Küssel und Worch gegründeten Partei im Gespräch sei. Diese Aussage widerlegt immerhin die von Politikern und auch der Generalstaatsanwaltschaft wie eine Flagge hochgehaltene These, wonach es keine Anzeichen für organisierten Rechtsradikalismus gebe. Seitdem die Zuhälter Ronny Matz und Nikolas Simeonides vor Gericht stehen, wird zum ersten Mal in Dresden die Kette rechtsradikaler Gewalt zum Gegenstand einer öffentlichen Verhandlung. Thematisiert hat den Neonazismus der Münchner Staranwalt Rolf Bossi, der als Verteidiger von Simeonides nach Dresden kam. Und die bisherigen Verhandlungsergebnisse widersprechen ihm nicht. So mußte das Gericht den Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes gegen Ronny Matz, damals Fahrer des Fluchtautos, fallenlassen. Sein Haftbefehl wurde aufgehoben. Matz muß weiter zu Verhandlungen erscheinen, seine Freilassung stärkt die Position der Verteidigung, daß die Angeklagten in jener Nacht zum 1. Juni 1991 aus Notwehr gehandelt haben.

Angeschlagen ist die auf tönernen Füßen stehende Anklage der Staatsanwaltschaft durch Aussagen des Bordellpersonals. Sherry G. erinnerte sich an die panische Angst im Laden, nachdem zwei Typen erschienen waren und Schutzgeld verlangt hatten. Mitinhaber Ali Ö. hatte sich geweigert, die 50.000 Mark zu zahlen. Nur in diesem Zusammenhang sei die Drohung eines Mädchens zu verstehen: „Die bringen wir um.“ Das in der Anklage unterstellte Vorhaben, gegen die Rechten „Krieg zu führen“, konnte bei der Zeugenvernehmung nicht erhärtet werden. Die Zeugen aus der rechtsradikalen Bewegung verstrickten sich in Widersprüche. Den Verdacht, daß sie es waren, die damals Krieg führen wollten gegen alles „Undeutsche“, konnten sie nur bestärken. Einer meinte, die „halbe Stadt“ hätte von dem bevorstehenden Angriff auf das Bordell gewußt, ein anderer wollte sich nur „auf ein Bier“ mit seinen Kumpels getroffen haben. Ein Bier bei Baseballschlägern und Schreckschußwaffe. Mit Interesse erwartet wurde die Aussage des damaligen Revierführers der Polizei, Andreas B. Noch heute interpretiert der Polizeirat den Straßenterror nur als „Probleme mit Jugendlichen“. Sogar mit Sonntag meinte er ein „vernünftiges Gespräch“ geführt zu haben. B. zufolge hatte die Polizei nichts von einem bevorstehenden Angriff auf das Bordell gewußt. Bossi hielt ihm entgegen, daß ein Beamter die Bitte des Bordellinhabers um Hilfe mit der Antwort quittierte, „für 1.000 Mark lassen wir uns nicht den Kopf einschlagen“. Das war dem Zeugen nicht bekannt. Der Prozeß wird am Montag fortgesetzt, Bossi ist derweil auf Spurensuche. Ihn treibt der Verdacht um, daß Sonntag selbst in Dresden mit einem Bordell ins Geschäft steigen wollte. D. Krell

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