Häuptling Abendwind erleidet Schiffbruch auf hoher See

Zwei Stücke über Kannibalismus: Beim einen sind möglicherweise die überzivilisierten Wiener als Kannibalen gemeint, die in Nestroys Faschings-Burleske vom Häuptling Abendwind nicht uncouragiert zur Tat schreiten (Jacques Offenbach muß das beeindruckt haben, immerhin schrieb er einige nette Lieder und Couplets dazu). Beim anderen Stück geht es nur vermeintlich um die Sache: Slawomir Mroszek läßt drei Schiffbrüchige Auf hoher See reden und reden, bis sie das Opferfleisch unter sich ausgemacht haben. So blindwütig handeln Menschen in einer Diktatur. Sie sterben auch noch freiwillig.

Auf hoher See wurde 1961 in Polen uraufgeführt. Die Zeiten sind passé. Lore Stefanek inszeniert das absurd angehauchte Stück zwar mit Anstand, vermag aber gegen seine (aktuell nur so erscheinende?) Überholtheit nichts ausrichten. Im ersten Teil des Abends aber kann man sich mäßig an der Nestroy-Episode zu Offenbachs Musik vergnügen: wirklich schrill wagt sie's nicht, die kulinarischen Machenschaften der beiden Häuptlinge Abendwind, der Sanfte, vom Stamm der Groß-Lulu, und Biberhahn, der Heftige vom Stamm der Papatutu, auszuspielen. Die klauten sich gegenseitig die Frau, um sie dann genüßlich zu verspeisen. Und Abendwind, der Sanfte, zögert auch keinen Moment, den Fremdling Arthur im Kochtopf landen zu lassen; dummerweise ist er Biberhahns unehelicher Sohn, im fernen Europa aufgewachsen — und verzogen. Der Mann wurde Friseur und bestach den Koch.

Nachdem das Schloßpark-Theater in Steglitz als Dependance des Schiller Theaters bereits mit Mozarts »Schauspieldirektor« wiedereröffnet wurde (auch das ein heiteres Singspiel für pseudofrivole Gemüter), scheint man dort die Tradition der beschaulichen Abende fortsetzen zu wollen. Für ein Stammpublikum, das wenigstens kommt. Im Unterschied zum Stammhaus, wo man entschieden mehr wagt und nichts gewinnt. sei/Foto: Sabine Gudath-Beeneken