Das dressierte Glück

■ Die Original-Lipizzaner-Pferde zeigen der westlichen Welt in Berlin erstmals die Hohe Schule der Dressur

Es ist ein Abend der Töchter. In schwarzen Lackschuhen und weißen Söckchen stehen sie frierend vor der Berliner Deutschlandhalle. Die ganz Jungen tragen noch den unvermeidbaren Pferdeschwanz, wer seine Schneider- Pferdebuch-Sammlung mittlerweile aufgelöst hat, präsentiert sich im edlen Jagdchic mit Lederrevers. Pferdenarren sind es allemale, die alten und jungen — die, die selbst schon wieder Töchter haben, und die ganz alten Damen, die nun warm bepelzt in die Halle strömen.

Sie alle wollen einer Weltpremiere für Pferdeliebhaber beiwohnen. Denn die Lipizzaner aus dem Stammgestüt Lipica haben erstmals ihre slowenische Heimat verlassen, um der Welt — oder doch zumindest dem dresssurreitgeschulten Europa — ihre Hohe Schule zu präsentieren. Die Tournee, die kräftg Devisen einreiten soll, beginnt in Berlin, und wirklich, die Halle ist fast ausverkauft. Ungeduldig scharren die kleinen und großen Lackschuhe, daß es nun endlich losgehe.

Ein Tusch ertönt, eine Fanfare, dann wieder ein Tusch. Dann endlich ziehen sie ein, die wunderschönen Tiere, durch eine Buchsbaumparade am Eingang. Verzücktes Raunen kreist durch den Saal angesichts dieser reinweißen Pferdchen aus Lipica, deren Ahnen schon 1518 den österreichischen Erzherzog Karl derart beeindruckten, daß er die slowenischen Schimmel an den kaiserlichen Hof verbrachte und dort in die spanische Hofreitschule schickte. Seither verbindet die Welt jene eleganten Levaden, stolzen Courbetten und einzigartigen Capriolen vor allem mit Wien, als seien die Lipizzaner eine Erfindung der Kaiserin Sissi.

Aber nun, da es nirgends mehr so ist, wie es einst war, soll sich das ändern. Jetzt ziehen die Original-Lipizzaner selbst in Preußen ein und stehen — gerad' wie „Jediente“ — in einer Reihe stramm. Acht Reiter auf acht Pferdchen lassen sich vom Publikum bestaunen, ziehen ihre Hüte, schnauben ein „Grüß Gott“ und drehen ein vorläufiges Ründchen durch das ausgeleuchtete Dressurviereck.

Schon traben sie mit majestätischer Leichtigkeit wieder hinaus, denn bevor wir Roß und Reiter mit dem Besten aus der „Schule über der Erde“ bewundern dürfen, zeigt uns Klavdij Maver, der Impressario der Lippzzaner Reitschule, was es heißt, am langen Zügel zu gehen. In schnellem Schritt stampft er in seinen hohen Reitstiefeln einem Schimmel hinterdrein. Die Zügel knapp am Allerwertesten seines Gauls, schnalzt und raunt er seinem Kumpanen Kommandos zu, welche der Bursche — immer im schnellen Schritt eines jungen Ungestüms — hufwendend in Seitschrittchen, Tippelgänge und Traversalen umsetzt. Die exakt vollführten Piaffen, wobei das Pferd auf der Stelle trabt, dienen dem Meister zum Verschnaufen, dem Publikum zum Staunen. Dann galoppiert ungestüm ein mächtiger tiefschwarzer „Friese“ in die Arena. Spätestens jetzt erkennt auch der Laie den Unterscheid zwischen den kurzbeinigen Edelweißen aus dem slowenischen Karst und den „verläßlichen Fahrpferden“ mit dem kalten Blut, der langen Mähne und den niedlich bepuschelten Beinen. Die Rappen mit der starken Hinterhand werden später noch dem „Levadeur ihre Reverenz erweisen“, — was heißen soll, daß sie angesichts eines stolz erhobenen Lipizzaners ihre Vorderbeine verneigend in den Staub abknicken. Demut in Reinkultur.

Dabei haben die berühmten Schimmel circensische Übungen dieser Art gewiß nicht nötig; ohne viel Tammtamm ziehen sie zu Wiener Walzer und Schmähschrammel ihre Volten und Quadrigen immer und immer wieder durch das sandige Dressurviereck; vollführen sorgsam die weltberühmten Capriolen über der Erde — heißa, es ist eine Freude für die Lackschühchen und Jagdchicsen. Daß die armen Pferdchen bei all den seltsam anmutenden Gangarten, diesem Trippel und Trappeln, den vielen Pirouetten und Piaffen auch wirklich ihren Spaß haben, sieht die Kennerin am „ruhig und locker getragenen Schweif“, welcher im Verlaufe dieses Abends gelegentlich in jener Eleganz angehoben wird, mit der eben nur ein „weißer Schimmel“ kacken kann.

Lipizzaner erleichtern sich am liebsten im Vorüberlevadieren. Soviel habe ich gelernt an diesem Abend, an dem auch die kleinen Lackschühchen ihren Pferdeschwanz freudig im Dreivierteltakt der Musik hin und herpendeln lassen. Dies ist ein Zeichen sichtbarer „Losgelassenheit“, lehrt mich die Hohe Schule, und ist gemeinsam mit den „aufmerksamen Ohren“ und „großen Augen“ sichtbarer Ausdruck innerer Zufriedenheit. Ein dressiertes Glück, gewiß. Aber immerhin Glück. Klaudia Brunst