Memento mori oder Vanitas?

Ein ausgewähltes Ensemble aus Laienschauspielern und Charakterdarstellern versuchte im Münchner Olympiastadion vergeblich, ein Bundesligaspiel aufzuführen: Die Tragikomödie endete 2:0  ■ Aus München Helmut Schümann

Vorab ein kleiner Exkurs in die Sportjournalistensprache.

Also, wie heißen frisch angestellte Trainer? Richtig: neue Besen. Was ist deren vordringliche Aufgabe? Auch richtig: Kehren. Und wie? Gut natürlich. Neue Besen kehren immer gut.

Wenn nun ein neuer Besen, ein feiner, mit echtem Roßhaar, nennen wir ihn Ribbeck, und ein neuer Besen, ein rustikaler, einer mit Reisig, nennen wir ihn Coordes, zusammen fegen, was dann?

Dann fegt Ribbeck alles raus, und fegt Coordes alles raus, und es bleibt nichts.

Nichts, einfach nichts. Das Bundesligaspiel zwischen dem FC Bayern München, poliert von Besen Ribbeck, und dem Hamburger SV, gestriegelt von Besen Coordes, es war nichts. Eigentlich war es gar nicht da, einfach weggeputzt. Bundesliga? Bundes? Bun? B? Weg!

Natürlich, es waren am Samstag im Münchner Olympiastadion (ein richtiges Bundesligastadion) zwei Bundesligamannschaften, und die wurden dann auch pünktlich um 15.30 Uhr von einem Herrn in Schwarz, der sich als Bundesligaschiedsrichter Werner Föckler vorgestellt hatte, aufgefordert, den 20.000 Zuschauern ein Bundesligaspiel zu bieten. Am Ende hatte diese Vortäuschung eines Bundesligaspiels sogar ein richtiges Ergebnis, nämlich 2:0 für die, die sich als Münchner Bundesligamannschaft ausgaben. Ein Resultat, daß sogar Niederschlag finden soll in der richtigen Bundesligatabelle. Zwischen An- und Abpfiff — anders kann es nicht gewesen sein in München am Samstag — aber gaben zahlreiche für Fußball unbegabte Schauspieler zum Besten, was sie sich unter Bundesligafußball vorstellen. Die Regisseure, besagte Besen, waren auch nur Doubles.

Nicht schlecht übrigens die Aufführung, so als Komödie. Durchaus unterhaltend. Der etwa, der den Münchner Effenberg gab. Hinreißend, wie er im ersten Akt allein vor dem Tor über den Ball schlug. Was haben sich die Zuschauer auf die Schenkel geklopft. Oder der Bender (überzeugend dargeboten von einem Laiendarsteller). Mit welch' ursprünglicher Kraft er die Hamburger ins Spiel einbezog und ihnen die Flachpässe in die Füße spielte, toll! Der echte Bender („Ich bin der beste Konterspieler Deutschlands“) hätte den Part nicht realistischer geben können.

Die Hamburger Bühne stand da nicht nach. Klasse, der, der den Spörl zeigte; grandios, allein vorm Tor und fünf Meter drüber wie daneben, das kann kein Zweiter. Oder Föckler, der Schwarze Abt. Superb sein Monolog nach der Aufführung: „Als Furtok seine beiden Tore schoß, stand er Abseits. Beim zweiten handelte es sich um passives Abseits, aber schreiben Sie das nicht, das ist zu kompliziert.“ Auf eine solche Interpretation muß man erst einmal kommen. Kurz, es war ein vergnüglicher Nachmittag, etwas überteuert vielleicht.

Aber doch sein Geld wert. Kaum Buhs, aber viele Bravos waren aus dem Auditorium zu hören, als der Darsteller des Wohlfarth (88 Minuten lang unter der Grasnarbe versteckt) auf einmal den Kopf hinhielt und der Ball auf wundersame Weise den Weg ins Tor fand. Und als zwei Minuten später der Mann, der Thon war, noch ein Tor erzielte, da war die Groteske perfekt. Mit dem Ausgang hatte niemand gerechnet. Nicht einmal der Münchner Dramaturg Uli Hoeneß: „Das darf doch nicht wahr sein“, sagte er nach dem Schlußapplaus.

Eine gelungene Premiere der neuen Besen also. Etwas kryptisch vielleicht die Reaktionen der Protagonisten nach dem Vorhang. Besen Coordes etwa rannte zum Schwarzen Abt, beschimpfte ihn, er hätte im ersten Akt das Abseits verpatzt, was der Münchner Intendant Fritz Scherer kommentierte: „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“ Was wiederum der noch nicht abgeschminkte Amtskollege aus Hamburg, Jürgen Hunke, weiterdeutete: „Wenn das kein Tor war, dann ist kein Tor mehr.“ Existentiell auch der Darsteller des Thons: „Freunde, laßt es uns als einen neuen Anfang nehmen.“ Es sind eben Künstler.

Nur, was will uns das Stück sagen? Daß der HSV zu Recht am Ende der Tabelle dümpelt, von dem sich die Bayern durch Glück (Deus ex machina?) gerade befreien konnten? Daß neue Besen gut kehren? Daß die Relevanz der körperlichen Betätigung (vulgo: Laufen) für ein Fußballspiel nicht unerheblich ist? Oder gemahnt uns das Stück etwa an die Vergänglichkeit allen Ruhms? Will es uns sagen, auch ihr Bayern, auch ihr Hamburger, einst die Größten im Fußball-Lande, ihr könnt Besen kaufen noch und noch, das Schicksal aber erreicht auch euch? Memento mori? Vanitas? Will es uns das sagen? Wir grübeln noch. Bis nächsten Samstag in diesem Theater.

Bayern München: Hillringhaus - Strunz - Berthold, Kreuzer, Ziege (15. Bender) - Effenberg, Wouters, Sternkopf, Thon - Wohlfarth, Laudrup (68. Labbadia)

Hamburger SV: Bahr - Beiersdorfer - Bode (47. Dammeier), Rohde, Matysik - Spörl, Hartmann, Waas, Eck - Furtok, Nando (75. Eckel)

Zuschauer: 20.000; Tore: 1:0 Wohlfarth (89.), 2:0 Thon (90.)

Besetzung: