„Das Wahre, das Gute und das Schöne“

■ Das Programm der Front National sieht stellenweise aus wie von den Nationalsozialisten abgeschrieben

Die ultraliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik der Front National (FN) verheißt nicht nur den Immigranten eine düstere Zukunft, sondern auch vielen Urfranzosen. Das jedoch wissen Wähler und selbst Mitglieder der FN nicht, denn Teile seines Programms hütet Le Pen wie ein Geheimnis. Laut und deutlich äußert die FN von ihrem Programm nur, was ihr nützt. Die Kandidaten erhalten Sprachregelungen. Le Pen selbst verleungnet Teile seines Programms, wenn er nicht mit Beifall rechnen kann.

Nachdem Gegner der Partei Vorschläge wie die Abschaffung des Mindestlohnes und der fünften Urlaubswoche publik gemacht haben, vollführte die FN zwei Wochen vor der Regionalwahl eine halbe Kehrtwende. Doch auch die neuen „51 Punkte zur Sozialpolitik“ münden in den völligen Abbau der Sozialversicherungen und zur Verarmung des öffentlichen Dienstes. Das Streikrecht will die FN in der Privatwirtschaft erheblich einschränken, im öffentlichen Sektor ganz abschaffen. Die Gewerkschaften sollen in berufsständische Korporationen zersplittert werden. Einen Betrieb beschreibt sie als „authentische Arbeitsgemeinschaft, wo ein jeder unabhängig von seinem Niveau innerhalb der Hierarchie seinen Platz findet“.

Die Wohnungs- und Sozialpolitik begünstigt die Reichen. Die FN will den Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau senken; Mieter in Sozialwohnungen sollen einen bedeutenden Aufschlag zahlen, sobald sie die erlaubte Einkommensgrenze überschritten haben. Unabhängig von der Höhe des Einkommens wird hingegen gefördert, wer ein Eigenheim kaufen will und verheiratet ist. Ehepaare erhalten Kredit und werden von der Grundsteuer befreit. Die FN will auch die Vermögens- und Gewinnsteuern senken.

Sehr engagiert äußert sich die FN zum Thema Schulpolitik. In der „Broschüre für einen nationalen Unterricht“ wird zunächst das Recht auf Bildung in Frage gestellt: „Abitur ist kein Menschenrecht“, heißt es darin. Diejenigen, die in den Genuß von Bildung kommen, sollen zunächst über die „Werte unserer Zivilisation“ aufgeklärt werden sowie über die „ewigen und absoluten Werte“, die da heißen „das Wahre, das Gute und das Schöne“. Das staatliche Schulwesen soll privatisiert werden. Ein Vorgeschmack der rechtsextremene Bildungspolitik gab Adrienne Franchi, Stadträtin in Nizza. Sie wollte aus den Stadtbibliotheken alle Bücher verbannen, die der FN nicht genehm sind.

Ihre Vorstellungen von Frau und Familie könnte die FN direkt von den Nationalsozialisten abgeschrieben haben: Die Frau ist biologisch dazu bestimmt, Kinder zu kriegen. Abtreibung soll natürlich verboten werden. Und — das ist originell — bei Wahlen sollen französische Familien zusätzliche Stimme erhalten, je nach Zahl ihrer minderjährigen Kinder — die Mutter wählt für die Töchter, der Vater für die Söhne.

Vor kurzem ist die FN dem Beispiel von Konservativen und Sozialisten gefolgt und auf das stimmenträchtige Thema „Ökologie“ aufgesprungen. Beim ersten Umweltkolloquium der Partei vor vier Monaten definierte Propagandachef Megret den Artenschutz als „Verteidigung des Erbgutes“. Bettina Kaps