Frühlingsgefühle in der CDU

Landesparteitag der NRW-CDU: Norbert Blüm und Helmut Kohl verbreiten heftig Optimismus/ Bildungspolitisches Programm verspricht Schulzeitverkürzung und Auflösung der Gesamtschule  ■ Aus Bonn Walter Jakobs

Herbert Reul, seit einem Jahr Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, war ganz aus dem Häuschen. Ein paar Tage vor dem am Wochenende in Bonn tagenden Landesparteitag kommentierte der 38jährige die Antragsflut zur Bildungspolitik so: „Das ist großartig, das macht Freude. So viel Engagement habe ich lange nicht erlebt.“ Als am Samstag nachmittag alles vorüber war, strahlte Reul, von Beruf Lehrer, immer noch. Die von ihm maßgeblich mitformulierten neuen Leitlinien zur Bildungspolitik fanden eine überwältigende Mehrheit. Norbert Blüm, der um große Worte nie verlegene CDU-Landesvorsitzende, sprach von einem „guten Tag für die NRW-CDU“, denn mit dem neuen schulpolitischen Konzept habe die CDU als erste Partei die Konsequenzen aus dem heiß diskutierten Kienbaum-Gutachten gezogen und den Nerv der Zeit getroffen.

Die CDU liegt vorn. Sie schreitet voran. Doch wohin? Die Ernüchterung könnte schnell folgen, denn außerhalb der geschlossenen CDU- Welt könnte das, was die Partei als Schritt in die Zukunft verkauft, möglicherweise als Kehrtwende in die Vergangenheit verstanden werden. Ziehen die Christdemokraten in die Düsseldorfer Staatskanzlei ein, dann wird die Gesamtschule abgeschafft, die Schulzeit für Gymnasiasten und Hauptschulen jeweils um ein Jahr reduziert und das Wissen aller AbiturientInnen durch ein „Zentralabitur“ standardisiert abgefragt.

Wo es wegen der geringen Schülerzahl unvermeidbar ist, sollen Haupt- und Realschule bei Wahrung der Unabhängigkeit des jeweiligen Bildungsgangs zur „differenzierten Mittelschule“ zusammengefaßt werden. Wie zu Uromas Zeiten will die CDU möglichst nur noch das Gymnasium als Entree zur allgemeinen Hochschulreife zulassen. Wer sich einmal für die Realschule entschieden hat, kann allenfalls noch über die Fachoberschule zur Fachhochschule gelangen.

Die SPD, die zunächst eine internationale Bildungskommission einberufen und erst im nächsten Jahr über die Neustrukturierung entscheiden will, wertete die christdemokratische Vorlage denn auch als bildungspolitische „Rolle rückwärts“. Die Düsseldorfer Landesregierung versucht sich bis zum nächsten Jahr mit Notprogrammen über Wasser zu halten. Wo die Reise hingehen soll, weiß bei den Sozis derzeit niemand.

Anders die CDU. Für sie gilt: „Vorfahrt für die berufliche Bildung“. Dabei gehört die große Liebe der CDU der Hauptschule. Wer in die Arbeitsgruppen hineinhorchte, konnte meinen, daß die im feinen Bonner Hotel „Maritim“ versammelten Christdemokraten ihre Kinder ausnahmslos zur Hauptschule schicken. Handwerksvertreter Dr. Koester: „Alles was die Hauptschule stärkt, ist aus der Sicht der Wirtschaft und des Handwerks gut.“

Koester, dessen 13jährige Tochter die Chancen noch nicht erkannt hat und weiter das Gymnasium besucht, sieht die Handwerker auch ökonomisch vorn. Ein strebsamer, gut ausgebildeter Handwerker könne heute leicht mehr als ein Akademiker verdienen. 100.000 Mark Jahreseinkommen seien schon in jungen Jahren drin.

In das Lied von der großen Kohle im Handwerk stimmte am Samstag auch Bundeskanzler Helmut Kohl ein. Konkrete Zahlen wollte der schwarze Riese, der ansonsten fürs Teilen und maßvolle Tarifverträge plädierte, zwar nicht nennen, aber immerhin wurde klar, wer zuallererst gemeint ist, wenn die CDU vom Handwerk spricht: der Eigentümer, der Handwerksmeister, der mit fünf bis sieben Gesellen nach Koester auch schnell auf 100.000 Mark kommt. Ohne Gesellen fällt das schwer und ohne Hauptschule keine Gesellen.

Angesichts des Bildungsstrebens des gemeinen Volkes schwant Herbert Reul Übles: „Es darf kein Dauerzustand werden, daß mehr junge Leute mit dem Architekturstudium beginnen, als Lehrlinge auf dem Bau anfangen“.

Schuld sind nicht nur die Sozis, sondern auch die Eltern, denn, so sagte es eine Delegierte aus Viersen, „die wollen ihre Kinder nicht mehr in die Hauptschule schicken“. Mit der CDU in der Staatskanzlei wird das bald wieder anders, weil dann die „Diskriminierung“ der Hauptschule durch die Sozis ein Ende hat.

Dafür stehen die Chancen, jedenfalls aus der Innenansicht des „Maritim“, gut. Helmut Kohl sprach am Samstag von der „Frühlingszeit“ für die Ideen der CDU. Auch in Nordrhein-Westfalen werde der Schritt aus der 35-Prozent-Diaspora gelingen, denn, so machte sich Blüm selbst Mut, „wir müssen keinen Sozialismus bewältigen wie die SPD“. Nicht die Religion „war das Opium des Volkes, wie Marx behauptete“, sondern „er selbst war das Opium der Linken. Marx ist tot und die SPD ein Waisenkind.“

Nur der CDU, der geht es gut. Wie gut, steht in einem vor Wochen an die Funktionäre verschickten internen Papier des Muntermachers Reul: „Unsere Partei wird immer älter... Seit 1984 verlieren wir mehr Mitglieder, als wir gewinnen. Anlaß zur Sorge geben die Strukturdaten vieler Ortsverbände.“